die leere Plaza von Llucmajor im März 2020

 2020

Das Jahr

…hatte milde und sonnig angefangen mit dem „Sommer im Winter“, wie man hier sagt.  Die Mandelblüte begann schon früh im Januar, die Felder waren grün und voller gelbem Klee. Auch die Nachtkälte blieb aus. Ein zeitiger Frühling kündigte sich an. Freunde meldeten sich zum Jahresanfang aus Winterurlauben und mit Besuchsplänen für den Sommer – wir freuten uns auf ein entspanntes, geselliges Jahr.

Ende Januar hörten wir aus China von einem neuen Virus: Corona. Viele Infizierte dort, ansteigende Mortalität. Jingjing Wang, meine ehemalige Studentin (Shanghai 1982) kommt aus Wuhan und hat auch noch Familie dort, im Zentrum der Epidemie. Was sie schrieb, klang ganz anders als die offiziellen Nachrichten der chinesischen Presse, die den Eindruck vermittelten, alles liefe kontrolliert ab. Jingjings direkte Informationen sprachen von rund-um-die Uhr arbeitenden Krematorien und viel, viel mehr Toten, als die offiziellen Nachrichten berichteten. Eine Katastrophe. Und Nachrichtensperre. Die Stadt Wuhan und weitere Städte in der Provinz wurden vollkommen abgeriegelt. Ich erfuhr, dass auch Yan, eine andere ehemalige Studentin aus meiner Klasse in Shanghai, in Wuhan war, deren alte Mutter dort lebte, krank und ohne Betreuung. Sie war nun dort bei ihrer Mutter und sass isoliert fest. Immerhin hörten wir von ihr. Mitte März war sie immer noch dort, sie konnte die alte Mutter nicht allein lassen. Inzwischen hatte China sogar offiziell etliche Tote zu vermelden, auch den Tod jenes Augenarztes aus Wuhan, der schon Mitte Dezember das neue Virus als gefährlich angezeigt hatte. Aber schlechte Nachrichten waren nicht erwünscht und er erhielt Hausarrest. Einen jungen Journalisten, der auf eigene Faust in Wuhan recherchieren wollte, verhaftete man und er verschwand, so berichtete der Schriftsteller Liao Yi Wu in einer deutschen Tageszeitung. 

Inzwischen hatte das Virus Bayern und Italien erreicht. In Bayern kannte man den Herd genau: eine Firmen-Fortbildung mit einer chinesischen Referentin. Es gab erste 6 Infizierte. Alles schien noch kontrollierbar. In Norditalien gab es die ersten Infektionen in Bergamo – dort nahm es rasant zu und breitete sich aus. Mitte März hatte Italien schon viele Todesfälle und einige vollkommen abgeriegelte Landteile. Kreuzfahrtschiffe mit einigen Infizierten an Bord dümpelten vor irgendwelchen Häfen, auch auf Mallorca liess man sie nicht mehr anlegen. Das Virus gewann an Dynamik und hatte sich weiter ausgebreitet, in die Schweiz, nach England, auch nach Spanien. Besonders Madrid war betroffen, die grossen Museen schlossen und am 14. März wurde eine Ausgangssperre verordnet, die ab dem nächsten Tag galt, und ich beschloss, sofort am folgenden Tag einkaufen zu gehen. Am 8.März, am Weltfrauentag, hatte aber noch in Madrid eine Gross-Demo stattgefunden, später meinte man, von dort hätte sich die Ausbreitung enorm beschleunigt, der lockdown sei eine entscheidende Woche zu spät verhängt worden.

Die betroffenen Länder, darunter auch die USA, verhängten Einreiseverbote. Das spanische Königshaus liess sich auf das Virus testen. In der FDP in Deutschland wurden zwei Infizierte festgestellt. Trump weigerte sich, einen Test zu machen, obwohl er kurz vorher mit Brasilianern, darunter Infizierte, zusammengetroffen war. Die Börsen stürzten ab wie seit 30 Jahren nicht mehr, man sprach von Krise und einschneidender Veränderung. Wenig wusste man aus den Ländern des Nahen  Ostens, aus Iran, der Türkei – und niemand sprach mehr vom Krieg in Syrien oder der Flüchtlingskatastrophe an der türkisch-griechischen Grenze. 

Auf Mallorca kamen zwei Infizierte ins Krankenhaus, in deren Umfeld man weitere fand. Mitte März hatten die Balearen 44 Infizierte, davon einen Todesfall und einen Genesenden. Ab Mitte März wurden alle Märkte und Feste verboten, sogar die Osterprozession und der Gottesdienst, besonders das Weihwasser. 

NEUE REGELN

Die Regelung für kommenden zwei Wochen bedeutete: geschlossene Restaurants und Bars, keinerlei Veranstaltungen, einkaufen nur mit Einlass, so dass nur max 10 Personen im Geschäft sind, Waren und Geld mit Einweghandschuhen anfassen. Keine Sozialkontakte, keine Schulen. Nur notwendige Gänge oder Fahrten, die die Guardia Civil kontrolliert. In China und Italien haben sich die Menschen von den Balkons aus unterhalten, sogar gesungen, eine Option .

Montag, morgens früh, fahre ich in den Supermarkt, allerdings nicht früh genug – die anderen waren offensichtlich schon da und haben die Regale leergekauft. In den Supermärkten bilden sich lange Schlangen und plötzlich gibt es keine Kartoffeln, kein  Fleisch, keine Kartoffeln und keine Eier mehr – alles weg, nicht einmal Restmengen. Brot wurde rationiert auf ein Brot pro Kunde. 

Die Menschen drängen sich in langen Schlangen an den Kassen, diskutierten und klagten – und niemand hält einen Abstand von einem Meter ein, im Gegenteil. Ich versuche es, werde aber von einem älteren Herrn in ein Gespräch verwickelt – wenn ich wegrücke, rückt er nach, tippt mir auf die Schulter und besteht darauf, sich mit mir zu unterhalten. Natürlich über das Virus. Abstände beim Gespräch sind hier nicht üblich, eher Nähe. Nur die Radler-Touristen scheinen nicht betroffen und  strömen in den üblichen Gruppen auf die Plätze – noch.

Der kleine Gemüsemarkt auf der Plaza durfte stattfinden, da es sich nur um 6 Stände handelt. Dort gibt es auch noch Kartoffeln und weiteres Gemüse, nur Mohrrüben sind ausverkauft. Aber es sind kaum Käufer zu sehen. Die wenigen Bekannten grüssen sich von Ferne, halten Abstand. An der Ausfallstrasse steht die Guardia Civil und kontrolliert Autos, die den Ort verlassen wollen. Vor dem Gemüsegeschäft steht eine Frau und regelt den Einlass. Alles vorhanden, ausser Kartoffeln – Tortilla-Country!

Obwohl verboten, machen wir einen Spaziergang in die Felder hinaus, sicherheitshalber hintereinander mit einigen Metern Abstand. Niemand schaut, nur eine Frau führt ihren Hund aus, sonst bleibt alles leer. Wir sind gespannt, wie die nächsten Wochen verlaufen. Mein Kaffee in meiner Bar fehlt mir heute schon, aber auch das Zeitungsgeschäft hat zu, also auch keine Zeitung – und was würde da schon drinstehen.

Mit den  Nachbarn winke ich mir zu, von weitem. Ich schlage vor, wie in China via Balkon zu singen, aber die Nachbarn haben nur eine Terrasse nach hinten und singen könnten sie auch nicht. Am Abend um 20.00 stehen aber alle vor der Tür oder auf dem Balkon und klatschen für das Krankenhauspersonal, das schlecht ausgestattet die infizierten Patienten betreuen muss. Noch fehlt es an allem: Schutzkleidung, Masken etc., mancher bastelt sich eine provisorische Lösung aus grossen Müllsäcken.

Am nächsten Tag gibt es eine neue Chance. Morgens früh eine  lange Schlange vorm Supermarkt, alle sehr diszipliniert, geregelter Ein- und Ausgang. Ich versuche es nocheinmal in der Mittagszeit, das Geschäft ist jetzt leer und vieles ist vorhanden, sogar Brot. Dann kommen noch zwei Damen hinein, die sich dicht neben mir an der Kasse aufbauen und meinen Hinweis auf einen Meter Abstand als Unfreundlichkeit aufnehmen. Das Personal trägt immerhin heute niedlich gemusterte selbstgenähte Gesichtsmasken und sieht jetzt schon, am ersten Tag der neuen Regeln, total übermüdet aus.

Wir gehen getrennt spazieren, die Strassen sind leer. Ein Mann mit einer Alibi-Einkaufstüte begegnet mir – ein diskreter Versuch der Anarchie. Drei junge Männer kommen plaudernd vorbei, verbotenerweise gemeinsam und dicht nebeneinander.

Hier auf den Balearen nimmt die Anzahl der Infizierten langsam zu; in Madrid haben sie sich in nur einem Tag verdoppelt. Auf Mallorca wurde eine Frau beim Spazierengehen an der Promenade entdeckt, obwohl dieses nicht erlaubt ist. Sie weigerte sich aber, nach Hause zu gehen und wurde schliesslich verwarnt – immerhin eine Strafe von 600 Euro. Eine akut Infizierte hat ohne Erlaubnis das Krankenhaus verlassen und wird nun eine kräftige Strafe erhalten – war es ihr zu langweilig geworden? 

Es gibt Beschwerden der eingeschlossenen Einwohner über die promenierenden Touristen, die auch in ihren Hotels draussen auf der Terrasse sitzen können. Nun will die Inselregierung alle Touristen – spanische wie ausländische  – ausfliegen lassen. Sicher vernünftig, denn was macht ein Tourist auf einer Insel mit Ausgehverbot und geschlossenen Gaststätten und Museen? Niemand konnte das voraussehen, aber wenn geschlossen wird, dann für alle. Es heisst, die Massnahme könnte über die 15 Tage hinaus verlängert werden – das wird schwierig. Thea Dorn empfiehlt, „Die Pest“ zu lesen. Der Roman handelt auch von einem Ausnahmezustand, ist aber eigentlich die Parabel für eine andere Art davon. 

NEUE DISZIPLIN

Heute, Dienstag, zur Post; die ist immerhin offen, wenngleich nur noch wenige Stunden pro Tag. Davor 5 Menschen weiträumig wartend, hinein darf immer nur eine Person. Es dauert nun noch länger als sonst. Ich habe mir vorsorglich Einweghandschuhe angezogen wegen Türklinke und Geld. Ein Mann trägt eine Gesichtsmaske und schnauft darunter, später nimmt er sie ab und japst. Innen vor dem Schalter ist ein Meter Abstand markiert, immerhin. Meine Mitmenschen beeindrucken mich – alle sind sehr diszipliniert und keiner beschwert sich. Von dort gehe ich zum nächsten Supermarkt, der eine Frischfleischtheke hat. Diese ist tatsächlich nicht leer. Auch vor diesem Supermarkt eine Schlange von 5, später 8 Menschen, alle brav mit einem Meter Abstand wartend. Vor dem Eingang ein Tischchen mit Desinfektionsmittel und Einweghandschuhen, die tatsächlich jeder anzieht und hinterher wegwirft und die Hände desinfiziert; im Laden selbst 3 Menschen. Wenn wir das so durchhalten 2 Wochen lang, dürfte es weniger Neuansteckungen geben. An der Ausfallstrasse sehe ich Polizei, die jedes vorbeifahrende Auto kontrolliert. Zur Arbeit oder zum Arzt darf man mit Nachweis, alles andere muss ebenfalls begründet werden, zu mehreren im Auto geht nicht. Aber es ist fast kein Autoverkehr, auch nicht im Ort selbst.

Die gespenstischen Strassen sind unheimlich, es sieht tatsächlich nach einer Epidemie, nach einer Katastrophe aus, ernster, als es vielleicht ist. Dennoch bedrückend. Ich komme noch an unserem Lädchen an der Ecke vorbei, dort sind alle Regale wieder rammelvoll und kein Käufer im Laden. Die Angestellten habe sich die Gesichtsmasken auf die Stirn geschoben und reissen Witze. Keine Engpässe mehr, auch Kartoffeln sind wieder in Mengen vorhanden. Ich kaufe etwas Obst und gehe nach Hause, etwas weniger beunruhigt; der Betrieb scheint weiter zu laufen. Solange man wenigstens unter dem Verwand „Einkaufen“ das Haus verlassen kann…..

Zur Zeit ist der Himmel bedeckt, ohnehin also kein Wetter, das ans Meer lockt. Denn dahin zu fahren, wäre nicht möglich. Verboten. Dann lieber grauen Himmel, solange die Sperre dauert!

Die Inselregierung will tatsächlich alle Touristen zurückführen, sowohl spanische als auch ausländische und dann den Flugverkehr weiter reduzieren. Aber die Einbußen für den Tourismus-Sektor werden gewaltig sein, besonders für kleine Restaurants und Hotels, die nicht zu einer grossen Kette gehören. Ob die Gegner des Tourismus – Tourist go home! –  sich all diese Konsequenzen so vorgestellt haben? Jetzt sind wir plötzlich im Testfall!

Mittwoch, 3. Tag (18.3.). Heute bin ich versuchsweise mit dem Fahrrad zum Einkaufen gefahren auf vollkommen leerer Strasse. Nicht mal ein Hund ist unterwegs, dabei dürften die doch, denn ein Spaziergang von Mensch mit Hund ist erlaubt. Um den Supermarkt herum einzeln wartende Menschen in grossem Abstand voneinander, nur drei marokkanische Jungs laufen wie gewohnt in Gruppe. Im Geschäft  ist es sehr leer, die Kassierinnen mit Gesichtsmaske, aber nichts mit Desinfizieren oder Einweghandschuhen, manche haben eigene an, ich auch.

Ich radele gemütlich zurück, es ist milde und gern würde man irgendwo einen Kaffee trinken – der Impuls ist tief eintrainiert und bleibt nun in der Luft hängen. Die Stille macht mich nervös und die fehlenden Sozialgeräusche. Mir fehlen meine lebhaften Mitmenschen! Später gehe ich allein durch die Felder an den gewohnten Tieren vorbei. Auch sie scheinen mir irgendwie irritiert. Merken Tiere so eine veränderte Situation? 

Italien meldet weitere viele Tote, aus Deutschland hört man unterschiedliche Äusserungen von Fachleuten und von Merkel kommt ein eindringlicher Appell an die Eigenverantwortung: „Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst.“ Jedes Bundesland regelt selbst. Föderalismus hat nicht nur Vorteile, oder vielleicht doch? In Bayern hat jetzt ein Dorf Ausgangssperre. Ist das sinnvoll?

In Madrid weitere viele Todesfälle, die Hospitäler alle heillos überfüllt. In Palma patroulliert jetzt Militär am Bahnhof und an der Plaza Espanya. Es sind vor allem die Jugendlichen, die sich nicht an die Vorgaben halten und andere anstecken können, obwohl sie selbst nichts merken. Im TV sieht man in Deutschland Studenten in der Sonne dicht beieinander auf der Wiese sitzen.

Noch bleibt das Wetter bedeckt. Ob wir in  2 Wochen ans Meer fahren dürfen?

Erneut schlechte Nachrichten aus Madrid: viele neue Infizierte, viele Tote, vor allem ältere Menschen in Altersheimen. Noch mehr Fälle hat Italien – aber wieso?

Ich nehme heute wieder das Fahrrad und fahre etwas unsicher durch die Stadt (ist das erlaubt?), aber niemand hält mich an und ich treffe wenige andere Radfahrer. Die meisten gehen zu Fuss, allein, manche haben sich einen Mundschutz besorgt oder selbst genäht, immer noch gibt es keine Masken zu kaufen. Ich habe Einweghandschuhe an, denn ich muss zur Bank, das bedeutet Tastatur am Geldautomat und den Griff der Eingangstür. Aber niemand darf hinein; wir werden alle aufs online-banking verwiesen durch den Ritz zwischen den geschlossenen Glastüren. Dazu muss man sehr dicht dran gehen, an die Stelle, an die die Person vorher schon geatmet hat – prima Infektionsherd. Nächstes Mal nehme ich mein Spray mit – wenn schon, dann gründlich.

Die ersten Trostmails treffen ein. Unser chinesischer Freund aus Stuttgart, auch einer meiner ehemaligen Studenten aus Shanghai, war der erste und konnte berichten, dass seine Schwester in China an der Ostküste eines ihrer Restaurants hat wieder aufmachen können – es scheint, der Höhepunkt der Pandemie ist dort schon überschritten nach 2 Monaten. Die Prozentzahlen, die Frau Merkel voraussieht – 60 – 70%  für Deutschland – verwundern ihn, in China lag man – offiziell – bei 2%, schreibt er.

UND DER TOURISMUS ?

In den beiden kleinen Restaurants, die bald auf der Plaza eröffnen wollten, wird geräuschvoll renoviert. Ob zwei neue Restaurants oder Bars tatsächlich jetzt eine Chance haben? Wie schnell wird sich nach dieser Zwangspause der normale Betrieb wieder einstellen? In der Zeitung lese ich, zur kommenden Wochen sollen absolut alle Hotels auf der Insel schliessen und auch alle verbliebenen Touristen die Insel verlassen. Was wird mit dem Ostergeschäft, auf das alle hoffen? Wird alles leer sein? Wer geht dann in die 14 Restaurants, die wir hier allein um die Plaza haben?

Spanien hat die grösste Dichte an Bars und Restaurants in Europa und ein Grossteil der Spanier arbeitet in diesem Bereich, meist mit Zeitverträgen. Stehen die nun alle auf der Strasse? In den kleinen Lebensmittelgeschäften und den Supermärkten brummt es jedenfalls, die sind weniger vom Tourismus abhängig. 

Ich nehme einen Umweg, um noch ein wenig unterwegs zu sein. Aber niemand steht für Kontrollen bereit – könnte ich womöglich auch noch weiter fahren? Irgendwann in den nächsten Tagen werde ich versuchen, meinen Radius auszuweiten. Es weht ein frischer Wind, und ich fahre zurück, bin aber gut durchgelüftet.

Zhu Ning Yan aus Stuttgart berichtet, dass an seiner Uni nun alle Vorlesungen und Prüfungen ausfallen und er Telearbeit machen wird. Aber eine Ausgangssperre gibt es bisher nicht. Er wundert sich über die Ansprache von Merkel, sie habe „wortreich nichts gesagt“, tolle Formulierung. Er hatte mit der Verkündigung der Ausgangssperre gerechnet, aber nichts. Nach den Berichten im Fernsehen wirken aber die Appelle an die Moral nicht, viele sitzen in Gruppen im Freien eng beieinander – das Virus wird sich also weiter ausbreiten und schneller. Bisher hat Deutschland wenig Todesfälle, macht das leichtsinnig? Die Virologen sagen auch alle etwas anderes. Man hört von einem Test in USA mit einem Impfstoff, mutig von der Dame, aber selbst wenn es helfen sollte, wird es dauern, bis so ein neues Medikament zugelassen ist.

Heute, Freitag, 20.3., hat nun Söder die Ausgangsbeschränkungen (so heisst das vorsichtig) verkündet, auch Baden-Württemberg und das Saarland sind dabei, erstaunlicherweise nicht NRW, obwohl es gerade dort viele Infizierte geben soll. Laschet setzt mehr auf Eigenverantwortung. 

Die Hotels in Spanien haben nun 7 Werktage Zeit, ihre Schliessung vorzubereiten. Der Flughafen hat nur noch eingeschränkten Berufsreiseverkehr innerhalb Spaniens, also 5 % des sonstigen Aufkommens. Die Flugzeuge stehen am Boden – für wielange? Auf dem Frankfurter Flughafen stehen auch schon 600 Flugzeuge in Wartestellung!

Spanien meldet neue Fälle und hat nun fast soviel Zunahme wie in Italien. In Madrid werden zwei grosse Hotels in Hospitäler für leichte Fälle umgewandelt. Nur auf den beiden Inseln El Hierro (Kanaren) und Formentera (Balearen) gibt es keinen einzigen Infizierten. Auf Mallorca steigt die Zahl auf 203 bei 6 Toten. Ab heute ist wieder mehr Mobilität erlaubt, auch zu Zweit, wenn einer behindert oder über 65 ist. Alt sein hat also auch seinen Vorteil. In der nächsten Woche versuchen wir, ans  Meer zu fahren, denn am Wochenende wird  bestimmt noch kontrolliert. 

Jingjing schreibt mir von einem Text von Vargas Llosa in El Pais vom letzten Sonntag, den sie in chinesischer Übersetzung – auf einer Exil-Plattform – gelesen hat. Er schreibt ganz unverblümt, dass die Pandemie aus China sich nur deswegen so ausbreiten konnte, weil dort keine demokratischen Freiheitsregeln gelten, warnende Stimmen von Wissenschaftlern unterdrückt werden und das Gesundheitssystem nicht funktioniert. Sofort wurden alle seine Bücher in China verboten. 

In Italien sterben am Freitag 700 Menschen und heute, Samstag, erneut 800 – grauenvoll. In Deutschland wird weiterhin über die „Beschränkung der Freiheitsrechte“ diskutiert und Bayerns Alleingang kritisiert, wo gestern Ausgangsbeschränkungen verfügt wurden. Immer noch nicht genügend Tote? Versteht man erst dann, was los ist?

In  Spanien fahren viel Menschen zum Wochenende aufs Land, obwohl das verboten ist. Die Polizei verhängt Strafen, ohne das geht es anscheinend nicht. In Paris wird ohne Abstand oder Masken gejoggt, schreibt unsere Freundin von dort. In Madrid heben sie eine Corona-Party mit Alkohol und Kokain aus, in Franken gehen Familien spazieren und später in ein Restaurant, das noch nicht geschlossen ist. Die Fallzahlen in Deutschland steigen, in Spanien ebenfalls und sehr schnell. Sanchez bereitet die Bürger auf eine dramatische Woche vor, sagt er heute abend, am 22.3.  Eine weitere Verlängerung der Ausgangssperre ist geplant, dann eventuell noch eine….Auch in USA haben sich die Infizierten und Toten fast verdoppelt, dort deckt man sich statt mit Klopapier mit Waffen ein – beunruhigend. Trump spielt die Sache herunter: der Virus würde wieder weggehen und in Kürze gäbe es einen Impfstoff. 

Erste Fälle tauchen in Lateinamerika auf, in Peru, in Brasilien schon seit Tagen. Für ohnehin runtergewirtschaftete Länder wie Venezuela oder Haiti wäre dieses Virus die Katastrophe schlechthin.

Immer mehr Freunde melden sich, man rückt gewissermassen digital zusammen, nicht mal Weihnachten schafft das! Soweit geht es allen gut, aber eine gewisse Unruhe macht sich breit angesichts der Ungewissheit. Auch den Eltern (Risiko-Gruppe) geht es noch gut; wir könnten sie nicht einmal besuchen, wenn sie krank würden.

Heute, Sonntag, haben wir die erste Woche hinter uns. Leider kam heute die Nachricht, dass in Spanien die Ausgangssperre um weitere 2 Wochen verlängert wird, also bis zum 12. April, d.h. nochmal 3 Wochen, uff. Aber die Zahlen steigen sehr schnell auf dem Festland und es gibt immer noch viele, die sich nicht an die Vorschriften halten. Ein junger Mann wurde mehrfach in Palma aufgegriffen und verwarnt, beim 4. Mal nahm die Polizei ihn mit: 1 Tag Haft. Er wäre gern im Gefängnis geblieben, denn noch eine weitere Woche in der Wohnung mit seiner Mutter halte er nicht aus. Man wird wohl wieder von ihm hören.

Starke Anstiege in England und USA, Trump verspricht aberwitzige Geldmengen, empfiehlt ein Desinfektionsmittel, vor dem die Fachleute dringend warnen und spricht vom „chinesischen Virus“. Den Zerfall des Mittelstandes wird er so nicht aufhalten können. Aber das Gerücht, China habe das Virus absichtlich in einem Labor in Wuhan erzeugt, beginnt die Runde zu machen.

Johnson verkündet erst jetzt Bewegungseinschränkungen, aber das marode Gesundheitssystem schafft kaum eine Grippewelle – und viele medizinische Hilfskräfte aus der EU haben wegen Brexit das Land verlassen müssen. Ein Treppenwitz, wenn es nicht so traurig wäre. Johnsons Vater beantragt einen französischen Pass, denn seine Mutter wurde in Versailles geboren. Noch ein Treppenwitz. Armes England!

Nach Auskunft von Ning Yan sind die Haupthamsterartikel in Deutschland – im „Land der Dichter und Denker“, wie er feinsinnig schreibt – Toilettenpapier, Nudeln und Pornos laut BR. Er sinniert über eine weltweite vergleichende Soziologenstudie nach. Ich staune, wie tief er in die Feinheiten der deutschen Akademikerschichtung eingedrungen ist!

Meine Schwester schickt weitere köstliche Kuchenrezepte, aber vorher muss sich unser Bewegungsradius erweitern lassen, mal sehen, was möglich ist im Rahmen der Vorgaben. Auf der Promenade in Arenal wurde eine Frau gesichtet, die ihr sehr fettes Hängebauchschwein spazieren führt. Muss man sich vorstellen, dass das ihr Haustier ist und sie es normalerweise in ihrer Wohnung hält? Wahrscheinlich als niedliches Ferkelchen gekauft……

Merkel geht in Quarantäne, wann erwischt es Trump?

Gestern, Montag, war die erste Woche vorbei und ich holte tief Luft für eine weitere. Aber da die Zahlen in Spanien unvermindert und schnell steigen, sollen weitere zwei Wochen folgen. Also noch drei Wochen ab gestern. Das soll diese Woche beschlossen werden, Ende am 12. oder 11. April. Das kommt mir ewig vor.

Dienstag war vergleichsweise gutes Wetter, etwas sonnig, milde. Aber es soll kälter werden, ich brauchte noch Holz für den Ofen, also zur Tankstelle. Dort kein Kunde und auch die Waschanlage geschlossen. Auch eine Corona-Verfügung, damit die Leute nicht weitere Vorwände haben, das Haus zu verlassen. Das Benzin ist jetzt wesentlich billiger. 

VERBOTE UND ANARCHIE

Als ich am Supermarkt vorbeifahre, sehe ich eine gewaltige Schlange um den Block herum. Später höre ich, dass eine Falschmeldung, der Notstand werde bald ausgerufen, die Menschen in Panik versetzt hat. Die örtliche Polizei zieht mit Megaphonen durch den Ort, um die Menschen aufzuklären. Einen Tag später lese ich in den Nachrichten, dass Torra aus Barcelona das vorgeschlagen hat und die ERC, Partner von Sanchez in dieser ungewöhnlichen Regierung, bei der Abstimmung am Montag diesen Vorschlag vorbringen will. Die aktuellen Massnahmen seien zu wirkungslos. Wer weiss schon, was wirklich „richtig“ ist, in so einer ganz neuen Situation. Vielleicht rührt die Panik daher.

Es gibt interessante Versuche, das Verbot zu unterlaufen: so wurde in Toledo ein ungewöhnlicher Hund auf der Strasse gesehen und per Video aufgenommen – tatsächlich handelte es sich um einen als Hund verkleideten Nachbarn…

Hunde anderer Besitzer werden gern als Alibi auf weite Spaziergänge mitgenommen, aber auch das ist verboten. Denn der Gang mit dem – eigenen – Hund ist grundsätzlich erlaubt – im nächsten Umkreis, aber was heisst das genau? Wer mehrfach weit entfernt vom Wohnort erwischt wird, zahlt hohe Strafen. In Madrid versuchen die Einwohner, mitten in der Nacht die Stadt zu verlassen, werden aber von der Guardia Civil an der Autobahn aufgehalten. Kein leichter Job, in diesen Zeiten Polizist zu sein. In den Krankenhäusern in Madrid werden die Betten knapp, jetzt hat man eine Halle des Messegeländes umfunktioniert und mit Betten ausgestattet. Die Pflegekräfte, wovon auch viele erkrankt sind, sind schon jetzt am Ende ihrer Kräfte. Leider ist das aber noch nicht das Ende der Pandemie. In Altersheimen werden neben Schwerkranken bereits Verstorbene gefunden. 

Italien bekommt Hilfsgüter aus Russland und China verbunden mit breiten Propagandamassnahmen. Sachsen-Anhalt nimmt, ohne grosse Propaganda, Patienten aus Italien auf, die schon am nächsten Tag eintreffen. Auch das Saarland hilft grenzüberschreitend den überlasteten französischen Krankenhäusern in der Nachbarschaft. Es wird Zeit, dass Europa sich als das vereinigte Europa zeigt, was es immer behauptet! Von Frau Merkel – oder von der Leyen – kam dazu bisher nichts.

In Paris muss jeder, der das Haus verlässt, ein ausgefülltes Internet-Formular dabei haben und darf sich ausserdem nur im Umkreis von 100 m von seinem Domizil entfernen. In Peking sind zwar inzwischen Restaurants geöffnet, dort wird aber bei jedem Gast Fieber gemessen. Die niederländische Regierung gibt eher laxe Regeln vor, die Bevölkerung führt ganz von selbst strengere Verhaltensregeln ein. 

Die Zahl der Infizierten in Spanien steigt weiterhin schnell. Heute, am 24.3., sind es schon über 40.000 und die Zahl der Toten ist wieder um fast 800 gestiegen. Auch in Italien glaubte man nach dem Wochenende an einen Rückgang, aber am Mittwoch weiss man, dass lediglich die Zahlen vom Wochenende gefehlt haben – es ist keine Änderung in Sicht. Hier auf den Balearen sind wir in einer Nische, bisher nimmt das Ganze einen sanften Verlauf. Die Polizei hier im Ort ist dennoch wachsam und kontrolliert jeden, der ohne Einkauf oder Tüte unterwegs ist. Aber an eine Entspannung in absehbarer Zeit ist auch hier nicht zu denken. Die Hotels sprechen vom 1. Mai für mögliche Öffnung, ob das klappt?

Wir nutzen das Angebot der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker und hören nun jeden Abend ein Konzert aus der Philharmonie, gestern Abbado mit Schubert und Debussy – uns fehlen noch gute Lautsprecher. Aber alle Fachgeschäfte sind geschlossen…Mehr und mehr spielt amazon eine Rolle im täglichen Leben, das war bisher bei mir nicht so.

Indien hat ein Ausgehverbot für das gesamte Land verhängt – wie geht das bei einer Bevölkerung, von der immer noch viele kein Dach über dem Kopf haben?? Das weiss nur Herr Modi. Im Hinduismus bestimmt ja das Karma das Leben, haben die Armen dann ein schlechtes Karma, wenn das Virus sie trifft? 

Heute ist Donnerstag, Tag 11 der Ausgangssperre. Gestern wurde in Madrid nach einer heftigen Diskussion die Verlängerung bis zum 12.4. beschlossen, also nochmal 18 Tage. Schon jetzt nehmen die Regelverstösse zu. Und in Deutschland scheinen allmählich – nach viel weniger Tagen – die Nerven blank zu liegen: Schlägereien an Supermarktkassen, weil der Erwerb mehrerer Toilettenpapierpakete verwehrt wurde, Unverbesserliche, die in abgeklebten Restaurants Candellight-Dinners abhalten – Party muss unbedingt sein. Beschimpft werden dann die Polizisten.

In Spanien wurde ein Aushang amüsiert geteilt, in dem der Präsident einer Wohnanlage die Mitbewohner dazu aufrief, sich nicht zu mehreren an den Mülleimern zu treffen zu einem Schwatz des Nachts, ebenso nicht spätabends Tennis zu spielen und auch nicht den Hund der behinderten Dame aus dem 3. Stock 9 Mal pro Tag von verschiedenen Nachbarn spazierenzuführen. 

In Tunesien gibt es inzwischen Roboter auf den Strassen, die kontrollieren und die Passanten auf die Abstandsregeln hinweisen. In Indien trägt die Polizei teilweise Ganzkopfhelme im Corona-Design, um die Menschen quasi bildlich an das Virus und seine Gefahren zu erinnern. Sogar farbig.

Auch die Zoos spüren die Auswirkungen: die Zootiere, an Besucher gewöhnt, langweilen sich, Elefanten müssen von den Pflegern „bespaßt“ werden. Die Affen wundern sich und schauen suchend durch die Gitter. Die Tiere wurden zum Zeitvertreib des Menschen in die Zoos gebracht und haben sich an die Situation gewöhnt – die plötzlich vollkommen anders ist. Sie fühlen sich nun vernachlässigt, im Stich gelassen, überflüssig. Eine neue Aufgabe für die Tierwärter.

Eine Frau setzt sich in einem deutschen Supermarkt auf das Kassenband, weil die Kassiererin ihr nicht 8 Pakete Klopapier verkaufen will und beschwert sich laut schreiend. Die Kasse ist blockiert, man ruft nach der Polizei, die die Frau mühsam vom Band herunterträgt, diese wirft sich auf den Boden, schreit weiter und weigert sich, ohne das Klopapier zu gehen. Schliesslich wird sie in Handschellen in den Streifenwagen getragen und am nächsten Tag entlassen – ohne ihren Einkauf. Was ist das in Deutschland mit den Hamsterkäufen? In Spanien gibt es das nicht. 

Hier in Spanien wird weiterhin streng kontrolliert, die Polizei meldet jeden Tag Hunderte Verstösse, die Nachbarn unterstützen durch Hinweise; finde ich bedenklich, dieses Denunzieren.

In  USA steigen die Zahlen weiterhin rapide an, aber Trump spricht davon, dass die Menschen bald wieder zur Arbeit gehen wollen und sollen. Der Gouverneur von New York hingegen bittet dringend um Unterstützung wegen der schlecht ausgestatteten Krankenhäuser – wie passt das zusammen? Auch in England plädiert Boris Johnson nun für eine strikte Ausgangssperre, er hat nun selbst Covid-19 und arbeitet in Quarantäne, das Virus scheint ihn voll erwischt zu haben.

Die stark betroffenen Länder wollen nun in der EU Bonds durchsetzen, ob sie nun Corona- oder Euro-Bonds heissen – bisher wurde das abgeschmettert. Dahinter verbirgt sich die schon lange gewünschte Schuldenunion, dh. die Vergemeinschaftung der Schulden ohne Auflagen – verstösst gegen die Verträge, aber das wäre ja nicht das erste Mal. Wieder haben wir die Situation der Nordländer gegen die Südländer – eigenartig. Der holländische Finanzminister wunderte sich deutlich, dass Länder nach 15 Jahren Wachstum keine Rücklagen gebildet hätten. Prompt explodierte der portugiesische Kollege – touché?

Unser Bürgermeister hatte eine neue Idee: Traktoren fahren durch die Stadt und versprühen Chlorlösung, jedenfalls riecht es so. Ein stinkiger Nebel, der sich auf alles legt, egal ob Fussgänger entgegenkommen oder nicht. Ob das etwas nützt? Eine eigene Idee? Als der Traktor sprühend auf mich zurauscht, biege ich schnell in eine Nebengasse ein  – er hinterher, meinetwegen? Oder war das ohnehin seine Route? Sollten alle Fussgänger „erfasst“ werden? Dürfen die das überhaupt?

Die Nachbarin rief an, wie es uns geht und war besorgt. Sie haben sich total eingeigelt und halten auch untereinander Quarantäne-Abstand. Toni, der älteste Sohn, kauft ein und bügelt die abonnierten Zeitungen zwecks Desinfektion. Mallorca sei nun wie früher, dh. wie vor dem Tourismus – leider haben wir nichts davon! Vielleicht später in den ersten Tagen danach, wenn der Betrieb wieder anläuft?

Die Corona-Journale nehmen zu, es gibt sogar einen Corona-Fortsetzungsroman. Angesichts des archaisch anmutenden Ereignisses einer Pandemie taucht auch lange vergessener Wortschatz wieder auf: man braucht zum Rausgehen einen „triftigen“ Grund. In manchen Regionen in Deutschland, zB. Schleswig-Holstein gibt es nur wenige Infizierte, der Verlauf dort wird als „glimpflich“ bezeichnet. Versteht das heute noch jemand?

In England gibt es die ersten 1000 Todesfälle, Boris Johnson und sein  Gesundheitsminister sind in Quarantäne – ein Treppenwitz, plötzlich ist auch Johnson für strikte Massnahmen. In USA über 100.000 Infizierte, Trump verdonnert GM, Beatmungsgeräte herzustellen, denn die amerikanischen Kliniken sind alle schlecht ausgestattet. Nur in Schweden geht das Leben anscheinend ungestört weiter, man sieht Menschen in Restaurants, in Parks – dort scheint das Virus sich nicht so auszuwirken, oder kommt das noch?

Wuhan hebt teilweise die Ausgangssperre auf, aber viele Kontrollen bleiben und die verordneten Tests müssen die Bürger aus eigener Tasche bezahlen. Italien hat die 10.000 Tote überschritten, schrecklich!

Morgen haben wir die Hälfte unserer Quarantäne-Zeit geschafft. Jetzt nocheinmal zwei Wochen. Ob es dabei bleibt? Alexander Gerst gibt Tipps für das reduzierte Leben in dieser Zeit: Einen Terminplan aufstellen und sich daran halten. Disziplin ist die Lösung, nicht Kekse knabbern! 

Heute ist der 2. Sonntag der Ausgangssperre, dh. die Hälfte ist geschafft, bzw. eine weitere Hälfte kommt noch, nochmal 2 Wochen. Schon gestern abend habe ich mir vorgenommen, sehr früh am Morgen ins Grüne zu gehen. Sonntags morgen lauert die Guardia Civil sicher nicht im Gebüsch. Und so war es. Morgens bei Sonnenaufgang ist der Ort noch ruhiger als sonst, wenn das noch zu steigern ist. Ich atme tief ein in der frischen Luft zwischen den Gärten und Feldern. Die Tiere dösen, schauen aber auf, als ich am Zaun zu sehen bin. Der eine Bauer hat einen neuen jungen Esel, der nur Schafe um sich hat und sich langweilt und sofort an den Zaum kommt auf der Suche nach Zeitvertreib. Auch die Ponys erinnern sich, das Pferd, der alte Ziegenbock und sofort balgen sich alle um die paar Blumen und Blüten, die ich über den Zaun schiebe: Abwechslung. Wie sind wir doch alle gleich!

Auf den wilden Wiesen blühen jetzt die Mini-Gladiolen in kräftigem Purpur, dieses Jahr sehr dicht. Ich schneide mir einen Strauss ab und verstecke ihn in meinem Beutel – unverfänglich! Wie schnell man sich diese Vorsicht zu eigen macht, obwohl es ja nur eine harmlose Ausgangsbeschränkung ist. Dass ein Spaziergang etwas Verbotenes sein kann – vollkommen absurd! Jetzt merke ich erst, wie eingeengt man sich doch fühlt mit den knappen Gängen zum Einkaufen und an den Geldautomaten.

Wir üben jetzt täglich am Cembalo – ich vermerke deutliche Fortschritte – und hören viel Musik via youtube. Immerhin gibt es diese Fülle an Konzerten im Netz.

Jingjing schreibt, dass in Wuhan nun die Familienangehörigen in die Stadt dürfen, der Staat verteilt kostenlose Urnen für die Beerdigungen an die Hinterbliebenen. Die Menschen stehen Schlange, um sie zu erhalten. Am 4. April ist ein wichtiges Ahnenfest. Es werden gut 40.000 Urnen verteilt, das dürfte die echte Zahl der Verstorbenen in Wuhan sein, nicht die 2132, die laut offizieller Statistik genannt wurden. Das entspricht auch mehr dem „Output“ der 7 Krematorien rund um Wuhan, die 6 Wochen lang pausenlos im Einsatz waren. Radio Free Asia berichtet dasselbe, heute stand es in Le Monde. Man darf diesem Regime diesen widerlichen Schwindel nicht durchgehen lassen und dann auch noch das „chinesische Modell“ loben!!! Totenschändung!

Heute Montag habe ich ein wenig Anarchie geprobt und bin in den Nachbarort Campus gefahren, Vorwand: Brot kaufen und in die Reinigung. Bis dorthin ging alles gut. Am Ortseingang stand Guardia Civil, notierte alle meine Daten, liess mich einkaufen, wies mich aber darauf hin, dass „Alarm“ sei und es auch in Llucmajor Brot gäbe. Wohl wahr, wenngleich nicht dieselbe Sorte…. Einen weiteren Versuch sollte ich wohl besser nicht unternehmen. Tröstenderweise kam ein Päckchen von Birgit Marie mit Eierlikör-Eiern: Wer Sorgen hat……Das passte wie aufs Auge! Ins Gefängnis wollte sie mir einen Kuchen schicken, aber daraus wird besser nichts!

Inzwischen schreiben auch andere Zeitungen über die fragwürdigen Zahlen aus China. Nein, das war dort keine erfolgreiche Bekämpfung des Virus mit Modellcharakter! Am Ende nehmen wir uns alle ein Beispiel wegen einer erfolgreichen Mediencampagne ohne Solidität. Haben die Schweden recht: einfach weitermachen? Vermutlich geht das nur, wenn dahinter ein gut funktionierendes Gesundheitssystem steht, was nicht alle betroffenen Staaten von sich sagen können, auch die USA nicht. Dort steigen nun die Zahlen gewaltig. Sogar Trump verdoppelt: nicht mehr 100.000 Infizierte, jetzt hält sogar er 200.000 für möglich. Auch wieder aus dem Ärmel gedacht?

In einer deutschen Zeitung wurde Armin Laschet abgebildet, brav mit Gesichtsmaske. Allerdings unterhalb der Nase, so geht das aber nicht! Alle machen sich lustig. Wenn jemand schon vorbildlich sein will….

Spanien setzt nun auch alle Bauarbeiten bis 9.4. aus, auch die Baggerei in unserer Strasse wegen aqualia hört nun auf. Das war schon sehr lästig: man darf kaum aus dem Haus und in der Strasse wird unter gewaltigen Staubwolken gebaggert und gerattert. Jetzt ist wenigstens Ruhe und man kann sich auf Dinge konzentrieren, wenn schon Quarantäne. Innerlich erreicht man eine fast buddhistische Ruhe, so kommt es mir vor. Wie das wohl ist, wenn man wieder „raus“ darf? Am besten nicht hindenken und durch. 

Die PP will den Bürgermeister von Santa Eugenia absetzen, denn er hat mit Unterstützung zweier Mitarbeiter am letzten Sonntag im 1500-Seelen-Dorf die übliche sonntägliche Vermutada durchgeführt und die zu Ausgangssperre verdonnerten Einwohner durch einen Laster mit Tango-Musik zu Tänzen auf dem Balkon animiert, einige sollen sogar dazu auf die Strasse gekommen sein. Überdies waren Bürgermeister und Mitarbeiterinnen tangomässig kostümiert. Ja, das ist Spaniens anarchische Seite. Ich erwäge, der Stadtverwaltung eine lobende mail zu schicken: Bravo – oder so! Man kann Spanier nicht einfach wochenlang zuhause einsperren und Mallorquiner schon gar nicht! Ende nächster Woche wird die Polizei reichlich zu tun haben! Viva Mallorca! Und die Zahlen steigen trotzdem, mit und ohne Ausgangssperre.

Heute, in der dritten Woche der Ausgangssperre – 1.4. – machen sich bei mir erste Abnutzungserscheinungen bemerkbar. Ich habe nicht einmal mehr Lust, unter dem Vorwand eines Einkaufes durch den toten Ort zu laufen. Lieber nehme ich das Fahrrad, dann sehe ich nicht so genau hin, wo und was alles geschlossen ist. Es ist trostlos, wieviel Leben war vorher in unserer kleinen Stadt!

Ich hänge mir die Maske um den Hals und setze sie dann im Supermarkt auf, auch das Gel am Eingang, auf das der Sicherheitsbeamte hinweist, nehmen wir alle. Aber es gibt immer noch viele Leute ohne Maske und ohne Handschuhe. Das ist ohnehin das Minimum an Vorsicht.

Tawan aus Berlin schickte einen post mit selbstgenähter Maske, nicht sehr schön, aber funktionstüchtig. Am Tag zuvor postete er den fallenden Schnee in der Forsterstrasse. Nun kann er seine schöne neue Doku über seinen Freund, den Schafhirten in den Cevennen, gar nicht weiter vorführen, schade, nach dem guten Kino-Start im Elsass.

Trump bereitet die Amerikaner auf zwei harte Wochen vor und nennt inzwischen 240.000 mögliche Tote. Trotz des missglückten Starts scheint ihm die Krise zu nutzen, seine Umfragewerte steigen, und er ist jeden Tag mit „Frontmeldungen“ im TV, schreibt die WP.  Aber der „Held“ der Krise ist wohl der Gouverneur von New York, Cuomo, der von Anfang an ungeschönt und klar über die Situation in New York berichtete. In New Orleans soll es jetzt auch sehr viele Neuinfizierte geben….Wann und wie hört das auf?

Derweil sichert sich Orban in Ungarn neue Diktator-Befugnisse, aber Uschi aus Brüssel tadelt nur allgemein und greift nicht durch, das wird sich rächen. Die EU darf solche Rechtsbrüche nicht hinnehmen, sie wackelt ohnehin!

In der Türkei wurden die an die griechische Grenzen geschafften Asylanten nun wieder weggeschafft in weit entfernte Lager. Was sollte das alles? Nur um aus der EU mehr Geld rauszuleiern? Erdogan bittet die Türken um Spenden an den Staat wegen der Corona-Krise, niemand weiss Genaues und das Schlimmste wird befürchtet. Die wirtschaftliche Situation war ohnehin schon schlecht. Dagegen behauptet Lukaschenko, man habe dort kein Virus…..Sogar Putin hat eine sehr strenge Ausgangssperre verhängt.

In Spanien hat sich Iglesias im Schatten der Krise eine erste Reglementierung der Moncloa-Pressekonferenzen ausgedacht, wogegen heute rund 100 Journalisten in einem offenen Brief protestiert haben – Gottseidank, sonst wüsste man nichts davon. Fragen dürfen nicht mehr direkt gestellt werden, sondern müssen vorher eingereicht werden, werden dann bearbeitet weitergeleitet. Einen direkten Austausch via Frage-Antwort-ggfs. Nachfrage gibt es nicht mehr! Das kommt davon, wenn man sich mit Beton-Linken zusammentut. Wir geben dieser Regierung kein Jahr – und auch das wäre schon zuviel!

Man denkt überall nach über die schrittweise Lockerung der Regelungen, verständlich angesichts des enormen Schadens für die Gesellschaft – aber die Zahlen geben leider keinen Anlass für Optimismus, bestenfalls hier auf den Balearen. Aber in Madrid werden täglich um die 900 neue Tote gemeldet, man kommt mit dem Abtransport der Kadaver nicht mehr nach, ähnlich wie in New York, wo dafür inzwischen Gabelstapler eingesetzt werden. In Deutschland steigt die Zahl der Infizierten, aber die Anzahl der Todesfälle ist auffällig niedrig. Haben alle so ein tolles Immunsystem? Viele Intensivbetten stehen leer, das verstehe einer.

Tag 18 der Ausgangssperre. In Spanien ist keine Abnahme in Sicht, von gestern auf heute werden weitere fast 1000 Tote gemeldet. Die Regierung entschuldigt sich für Fehler zu Anfang der Krise, aber die Situation in den Krankenhäusern und bei den Sanitätern bleibt prekär, es fehlt Fachpersonal – und wenn diese zu wenigen auch noch krank werden…Es fehlt vor allem immer noch an der nötigen Schutzkleidung für das Krankenhauspesonal, manche basteln sich etwas aus grossen blauen Müllsäcken, sieht man in den Nachrichten. Manche von ihnen werden auf Mallorca in Hotels untergebracht, um nicht eventuell zuhause die Familie anzustecken.  Unser örtlicher Doktor zieht in sein Sommerhaus in Son Bielo am Meer.

Es werden vermehrt Verstösse gemeldet, meist Männer, oft jüngere, die angeben, es zuhause nicht auszuhalten….Hausbesetzungen und Einbrüche in geschlossene Restaurants oder Bars gibt es natürlich auch. Und viel Alkohol am Steuer, auch Drogen…die Polizei hat zu tun. Gisela aus Paris schreibt, dass sie verwarnt wurde, weil sie ihre – mitzuführende – Ausgangsgenehmigung nur mit Bleistift ausgefüllt hatte. Das sind Probleme! Nur, damit man eine Stunde aus dem Haus darf.

Der Chefredakteur von Lettre berichtete vom Einbrechen des Anzeigengeschäftes dadurch, dass quasi alle Theater und Festspielhäuser alles verschoben haben, Bayreuth sogar bis ins nächste Jahr. Das ist schwer für so eine Zeitung, die so grossartige Artikel liefert für relativ wenig Geld – und natürlich von den Anzeigen „existiert“ , und der Handverkauf in den Buchläden etc. klappt ja auch nicht zur Zeit, hoffentlich stehen sie es durch. Selbst wenn ich 10 Abonnenten fände, wäre das nicht einmal ein Tröpfchen auf den heissen Stein! Gemein.

DIE TÄUSCHUNG: BALD VORBEI ?

Dennoch entwickelt sich bei mir ein zaghafter Optimismus. Nach dem kommenden – dritten – Wochenende folgt noch eine Woche. Eine weitere Verlängerung wird nicht befürwortet werden, Spanien schlingert eh schon wirtschaftlich und Mallorca sowieso. Nach Ostern müssen die Geschäfte wieder losgehen, auch mit dem schönen Wetter, dass dann zu erwarten ist. Von den rund 10.000 Verstorbenen in Spanien sind fast 9000 Rentner, sagt die Statistik. Wieviele alte Menschen sterben in einem „normalen“ Frühjahr?

Heute, Samstag 4.4., morgen sind 2 Wochen rum, es fehlte noch eine, aber es werden wohl weitere 2 Wochen Ausgangssperre hinzukommen. Viel Zeit. Die Mallorca-Zeitung berichtet von den skurrilen Ausreden, die der Polizei präsentiert werden bei Kontrollen: Schlüssel einer Freundin bringen, einem Freund Haare schneiden (obwohl nicht Friseur), mehrfach dieselbe Zigarettenschachtel als „Einkauf“ vorlegen etc. Mancher junge Mann will schlicht ans Meer um braun zu werden, die Regeln sind ihm „scheissegal“….oder einer will einfach nur mal herumfahren. Leider wird das teuer und demnächst noch strenger gehandhabt. So wird das aber nicht noch 3 weitere Wochen gehen, es heisst jetzt, bestimmte Dinge sollen gelockert werden, z.B. spazierengehen mit Kindern oder Sport. Gesund ist die Hockerei nicht und Mallorca hat die niedrigste Ansteckungsquote in Spanien.

Sanchez muss das noch abstimmen lassen, mal sehen, was der Opposition einfällt. Dies wäre die Stunde für Ideen, aber niemand ist derzeit sonderlich helle in der Regierung. Iglesias nur dort, wo er seine Macht ausbauen kann – und das tut er. Die Demokratie in Spanien ist dabei, Schaden zu nehmen.

Gestern habe ich mich auf einem Schleichpfad in die Felder aufgemacht, Blumen gepflückt, die Ziegen gefüttert und den Esel – und frische, freie Luft geschnappt. Hinterher war ich ganz traurig, dann merkt man die Einschränkung. Also, besser weiter an das Tagesgeschäft halten, Cembalo üben, lesen, schreiben, kochen. Ich habe sogar das Bücherregal komplett entstaubt und einige Bücher repariert – dazu kommt man sonst nie! Ulysses hat Ivo Andric als Autor entdeckt und liest nun „Wesire und Konsuln“; für diesen Roman erhielt er 1961 den Nobelpreis. Handlungsort ist Bosnien, auch Smyrna, das osmanische türkisch-bosnisch-serbische Mischreich, die mühsame Balance der getrennt und doch miteinander lebenden ethnischen Gemeinschaften. 

Ich bin inzwischen bei „Ulysses“ von Joyce auf S. 546 und nähere mich tatsächlich den letzten hundert Seiten. Ein grosses Buch, irre, unverständlich und kunstvoll. Und ein grosses Lesevergnügen, auch wenn ich niemandem erklären könnte, was ich da eigentlich genau lese. Keinerlei Handlung, aber viel Welt und eine intensive Gegenwart im Leben! Ist Respektlosigkeit ein typisch irisches Merkmal? Denn katholische Kirche, deren Repräsentanten, Politiker, Freunde, Nachbarn und er selbst: jeder wird mit – allerdings liebevoller – Respektlosigkeit erfasst. Unendlich amüsant. Das erinnert an „Unendlicher Spass“ von David Foster Wallace – ob er Joyce-Fan war? Da gibt es etwas Gemeinsames, wie alles Gegenstand der Erzählung ist, aber nicht Thema.

In Spanien sinken die Zahlen der Neuinfizierten, insgesamt sind sie aber immer noch hoch. Leider fällt der Regierung nichts dazu ein, ausser  eine weitere Ausgangssperre zu verhängen und eine folgende anzudeuten. Der sog. Opposition fällt auch nichts ein, sie könnte ja ein Konzept für das „Danach“ einfordern und zur Bedingung ihrer weiteren Zustimmung machen. Das würden die Spanier honorieren. Stattdessen: nichts. Leider fällt auch Frau Armengol von den Balearen nur ein, einen Plan zu fordern, wie hier alles wieder zurückzufahren sei. Sie könnte ja selbst einen Vorschlag machen, aber nur aus dem Gesundheitsministerium kommt die Idee, die Balearen zu einem „Projekt“ im Ausstieg zu machen, allmählich alles wieder normalisieren und das gut beobachten. Ist doch eine Idee? 

Aber Madrid hat eine bessere: alle, die das Virus haben, aber keine Phänomene, aussortieren und in Lager stecken. Vorher natürlich alle testen. Lächerlicher könnte man nicht argumentieren. Zum Glück sind wir nicht bei Franco oder in einer kommunistischen Bananenrepublik – oder doch? Anfangen wollen sie in den „essentiellen Bereichen“, dh. Baugewerbe etc.. Wie das praktisch aussieht, kann man sich leicht ausmalen. Bisher haben sie einen Haufen Tests aus China gekauft –  die aus ihrer menschenverachtenden Propaganda nun auch noch Geld machen – die alle nicht funktionieren. Auch Masken, angeblich von Firmen ohne Lizenz, ist Chinas Ausrede. Boykott! wäre die Antwort!! Allmählich sickert durch, wie China die Welt angelogen hat. Aber Konsequenzen zieht keiner, immer noch wird von dem Modell China geredet. Um Gottes Willen!

Gleichzeitig versucht Herr Iglesias sein Modell Nicaragua umzusetzen, Mindestlohn für alle – in diesen Zeiten? Spanien ist faktisch pleite –  und Kontrolle der Presse. Mit einem Sanchez hat er wahrlich leichtes Spiel. Wer fegt diese Camarilla weg!!!?

Ich beschränke mich auf die nötigen Gänge. Das Gefühl, kontrolliert zu werden, ruft allmählich eine Art Paranoia hervor, schon der Polizeiwagen an der Ecke lässt mich zucken, als hätte ich die Kasse geklaut. Grauenvoll. In Deutschland gibt es immerhin einen Ethikrat, der heute darüber nachdachte, dass Quarantäne nicht nur ein wirtschaftlicher Faktor ist, sondern vor allem Menschen betrifft. Hier in Spanien redet man immerhin davon, dass die Kinder spazierengehen dürfen, der Rest kann weiter schmoren. 

Leider beginnt jetzt schönes Wetter, eine grosse Verlockung. Ich schau besser nicht hin. Es gibt Fotos aus diesem Jahr von Anfang März, wo wir sehr hübsch am Meer sassen…Zum Glück haben wir Ulysses‘ Geburtstag noch vor der Krise sehr schön feiern können.

Rosa Montero schreibt im Pais Semanal über den Impuls gleichermassen zu weinen und zu lachen, und der Philosoph Giorgio Agamben wundert sich darüber, wie schnell die Menschen ihre Freiheitsrechte aufgeben – in der Tat! Nur weil es ein Virus gibt, der das System herausfordert, bin ich doch kein Straftäter!!!

Im Süden Spaniens wurde ein Mann mit einer Strafe von 1000,-€ bedacht, weil er den Kauf von Haselnuss-Creme als Grund für sein Unterwegssein angab. Das sei kein Grund, entschied der Polizist. Nun hat der Innenminister aus Madrid klargestellt, dass es keinen Katalog gibt von genehmigten oder verbotenen Gütern! Einkaufen ist und bleibt erlaubt, egal was. Das war wohl eine Eigeninitiative einer befehlskonformen Kommune. Kriegt der Mann jetzt sein Geld zurück?

Gestern lief Ulysses zweimal seine Runde durch die Strassen, beim zweiten Mal drohte ihm ein alter Mann aus einem Fenster. Sind wir so schnell so weit??? Es heisst, auch in Deutschland entwickelt sich ein Denunziantentum, hier wohl auch. Herr Agamben sieht das wohl richtig, die Bedrohung ist nicht das Virus, sondern wie der Mensch auf die Einschränkungen reagiert, auch sozial. Da muss man wirklich hoffen, dass das Ganze nicht zu lange dauert und wir nicht noch mehr über die moralische Befindlichkeit unserer Mitmenschen erfahren.

Ostern naht, aber alle Prozessionen sind verboten – umsonst geprobt das ganze Jahr! Donnerstag vor Ostern sind zum ersten Mal lange Schlangen vor den Supermärkten wie seinerzeit in Ostberlin, allerdings mit weitem Abstand und daher umso länger, um den ganzen Block herum und bis zum nächsten Parkplatz. Aber es geht eigentlich nur um morgen, Freitag, dann bleibt alles geschlossen, am Samstag ist dann schon wieder geöffnet. Ein Zeichen für Panik, die allmählich bei den Menschen aufkommt, die nun seit vier Wochen in dieser absurden Situation verharren müssen. Und die Kinder? Mehr und mehr fragt man sich, warum, vor allem, da auf Mallorca die Fallzahlen niedrig bleiben, wir aber nach den Zahlen aus Madrid kaserniert werden. Eingesperrt. Wo bleibt das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit und auf Versammlungsfreiheit? Noch sind alle ruhiggegestellt durch die Angst, aber die Barriere bröckelt.

Heute, nach einer langen, mühsamen und unfreundlichen Debatte hat Sanchez die Verlängerung bis Ende April – d.h. dieser Monat ist futsch! – nocheinmal bestätigt bekommen. Aber die auch psychologisch sehr ungeschickte Ankündigung, er werde wohl nochmal bis zum 10. Juni um Verlängerung bitten müssen, ist angesichts des völligen Mangels an irgendeiner Perspektive, wie Spanien aus diesem Abgrund wieder hinausfinden will, ein Wahnsinn. Ein weiteres Mal kommt er damit nicht durch, auch mit dem Trick, am Parlament vorbei zu „dekretieren“ – sehr beliebt bei Drückebergern in der Politik und sehr undemokratisch. Da ist Spanien empfindlich und hellhörig, zum Glück! Aber leider hat die Debatte auch gezeigt, welch dürftiges Personal im Moment dieses Land „regiert“.

Demnächst sollen Kinder „raus“ dürfen – aber was ist mit älteren Menschen und denen, die allein leben? Niemand scheint eine Vorstellung zu haben, was das Zuhausebleibenmüssen für so manchen bedeutet, welchen Verlust an sozialem Austausch und ein wenig Menschlichkeit. Davon hat bisher die spanische Gesellschaft gelebt, ein zentrales Element, das nun seit Wochen vollkommen wegfällt. Bisher hat kein einziger Politiker auch nur ein Wort über die Menschen verloren, sondern nur über den wirtschaftlichen Schaden nachgedacht. Dass man Menschen zu „Schuldigen“ stempelt, sie kontrolliert, verwarnt, bestraft, stellt doch eine völlige Entmündigung dar und nur, weil die Politik keine Verantwortung übernehmen will. Nein, die Regierung ist nicht verantwortlich für die Gesundheit jedes Einzelnen, die liegt eben bei jedem Einzelnen – aber sie ist dafür verantwortlich, wenn das Gesundheitssystem nicht ausreicht, egal bei welcher Krankheit. Das wird nun gern vermischt, schuld ist der Virus und die, die ihn haben, weitergeben und nicht einmal „krank“ sind. Der Mensch war ja schon immer das System-Risiko, so auch jetzt. Und wir nehmen diese Rolle an und gehen – heimlich – frühmorgens ein wenig spazieren, um den beginnenden Frühling zu geniessen, allein, ohne Begegnungen, die man gefährden könnte, wenn man könnte – und haben ein schlechtes Gewissen. Das nehme ich übel! So geht man mit seinen Bürgern nicht um!!!

Immerhin hat der Innenminister Marlaska eingegriffen und die selbstherrlichen Produktlisten der Provinz Alicante von Dingen, die die Bürger einkaufen „dürfen“ oder nicht, für unzulässig erklärt. Nein, es ist nicht verboten, Haselnusscreme zu kaufen und es geht den Beamten der Guardia Civil überdies nichts an! Zum Glück werden solche Auswüchse schnell gestoppt, aber wie schnell ist ein Verbotsregime installiert. Erschreckend! Es fängt an mit der Erzeugung schlechten Gewissens und schon ist der Plafond für Übergriffe der „Ordnungskräfte“ bereit!

Nun ist es definitiv: weitere 2 Wochen Quarantäne bis 26.4. und Sanchez kündigt jetzt schon an, er werde um erneute Verlängerung bitten müssen. Aber die PP hat schon signalisiert, dass sie dem nicht nocheinmal zustimmen wird, Sanchez umgeht nämlich das Parlament. Heute, Samstag, den 11.4., schrieb ein Verfassungsrichter in El Pais über die Möglichkeiten im Rahmen der Verfassung und dass das Vorgehen von Sanchez nicht im Einklang ist. Es fehlt ein Konzept, zugeben muss man allerdings, dass fast jede Regierung (Johnson, Macron, Trump) dieselben Fehler zu Anfang gemacht hat. Und niemand weiss, wie man einigermassen sicher rauskommt. Österreich versucht es jetzt und auch Dänemark. Vielleicht kann man dort etwas lernen.

Dummerweise kann man diesen Moment nicht zurückstellen und entsprechend bitter sind dann die Konsequenzen, s. England, s. USA. In Spanien zum ersten Mal ein leichter Rückgang bei den Neuinfizierten, 500 statt ca. 900, aber immer noch viele. Die Inseln der Kanaren und die Balearen bieten sich als Pilot-Regionen an, gar nicht so dumm. Aber wer organisiert das und wertet es sinnvoll aus?

Inzwischen werden Strassen und Strände per Drohne oder Helikopter kontrolliert – ist das nicht etwas überzogen? Um einen Badenden  zu schnappen? Auf den Fincas hier am Stadtrand parken Autos, man hat sich wohl nachts dorthin geschlichen, teilweise unter Einsatz von 2 Autos mit je einer Person.

ENDLICH ZUM FRISEUR

Am Montag kommt die erste Lockerung, Baugewerbe und „nicht-essentielle“ Gewerbe dürfen wieder loslegen? Gehört Friseur dazu? Oder Schuhgeschäft? Restaurants sicher nicht, auch keine Bars. Gern würde man mal wieder einen con leche auf der Plaza trinken oder mal wieder zum Friseur gehen. Ich sehe inzwischen aus wie Seji Ozawa mit meinem üppigen Haar-Mopp.

Heute, Dienstag der 14.4., sehr schönes Wetter, richtig heiss tagsüber, kräftige Sonne. Inzwischen werde ich findig, wie ich mit möglichst vielen Umwegen einkaufen gehen kann. Und immer noch sieht man Menschen ohne Mundschutz etc….Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass vielen Menschen die Geduld ausgeht und die Stimmung kippt. Nichts Konkretes, aber eine Ahnung von Lustlosigkeit, eine unterschwellige Reizbarkeit. Da es das einzige Vergnügen ist, dass man offiziell haben darf, kaufen die Menschen in grossen Mengen ein, selbst in der Mittagszeit, wo es normalerweise leer ist, stehen zwar weniger, aber immer noch Etliche Schlange. Vor der Post 15 Personen, absurd. Das dauert dann 1 Stunde, bis man dran ist, oder noch länger.

Heute haben auch Baufirmen und andere „essentielle“ Gewerbebetriebe die Arbeit wieder aufgenommen, auf der Autobahn nach Palma und um die Stadt herum wurden lange Staus gemeldet. Das ist eigentlich dieselbe Menge wie früher, eher weniger, woher kommt der Stau?

Gestern abend wieder ausführlich die Berliner Philharmoniker in der Digital Concert Hall gesehen, Atmosphères von Ligeti von Rattle dirigiert, überraschend unklar, dann nochmal von Nott (allerdings Proms) sehr viel besser. Zufällig sahen wir noch Roth mit Debussy, zum erstenmal ein Dirigat von ihm mit Freude und Begeisterung, er hat sich sogar beim 1. Geiger und anderen Musikern bedankt. Er kann es also doch! Meist wirkt er ungnädig und schroff.

Wir haben das Programm der Berliner jetzt abonniert für ein ganzes Jahr, und mit den neuen Lautsprechern haben wir sehr guten Ton. Wunderbar. Eine erfreuliche Corona-Massnahme. Die Schaubühne Berlin bietet im livestream Archiv-Inszenierungen an, jeden Abend ein Klassiker. Trotzdem würde man gern mal wieder ins Konzert gehen – mit Mensch sozusagen. Wie mag das unseren Freunden in Paris gehen, dieser mit Kulturangeboten übervollen Stadt – und jetzt gar nichts! Wird danach die Welt eine andere sein, werden wir daraus etwas lernen, gar mitnehmen? Ich habe meine Zweifel, aber mit zunehmenden Wochen verändert sich vielleicht doch das Lebensgefühl…Wir hier auf unserer geschützten Insel sind vermutlich kein Maßstab.

Heute im Supermarkt befiel mich plötzlich ein Hüsteln und sofort fragte ich mich: Hab ich es nun doch? Draussen war es aber wieder weg, aber so gross ist schon die Paranoia…..Man muss noch viel disziplinierter sein! Mit sich selbst.

Peter Weibel hat in der NZZ einen Artikel veröffentlicht, in dem er Virus und Virtualität verbindet: durch den Virus endet die Nahgesellschaft und beginnt die von ihm schon seit langem favorisierte Tele-Gesellschaft. Seine alte Leier, aber durchaus mit einigen guten Argumenten. Hinweis auf ein Kult-Theaterstück von Sartre: „Huis Clos“ (Geschlossene Gesellschaft) mit dem Schlüsselsatz: L’enfer, c’est les autres. Sehr brauchbar, dieser Satz. Ich hab es mir sofort bestellt. Überhaupt ist amazon mein grosser Freund geworden in dieser Zeit, und das geht sicher vielen so. Weitere Milliarden für Herrn Bezos. „Huis Clos“ kann man auch als Archiv-Inszenierung von 1949 (!) sehen mit der berühmten Schauspielerin Arletty. Das Dreipersonenstück zeigt deren Hölle: ein Hotelzimmer mit drei Canapés. Sonst nichts. Und nichts „tele“ , sondern nur „Mensch“. Auf die Frage, wo denn das Bad sei, antwortet der Höllen-Room-Boy: „Das brauchen sie nicht mehr.“ Und ob man das Zimmer verlassen könne: Im Prinzip ja, da sei die Klingel. Aber diese funktioniert nicht. Die Tür hat überdies keine Türklinke. Und wann es denn Frühstück gäbe. „Das brauchen Sie nicht mehr.“ Es dauert eine Weile, bis jeder der drei Personen, zwei Frauen, ein Mann, verstehen, dass das nun ihr ungewollt gemeinsamer Ort bis in alle Ewigkeit sein wird. Die Hölle für jeden sind die anderen. Ein Entkommen ist nicht. Eben Hölle. 

In der Tat ist diese totale Ausweglosigkeit eine Art Parabel über die Situation angesichts der Pandemie, so wird das inzwischen genannt. Das Gefühl von Hilflosigkeit angesichts des unbekannten Virus Covid-19, ist vielleicht das Unangenehmste. Es wird noch Wochen, vielleicht Monate dauern, bis die Wissenschaftler etwas Tragfähiges über das Virus aussagen können, und dann sicher noch einige Zeit, bis wirksame Gegenmittel gefunden werden. Vielleicht dauert das alles viel länger, als wir uns im Moment vorstellen können und wollen. Die Aufgabe wird sein, MIT dem Virus zu leben und sich grundsätzlich darauf einzustellen für eine längere Zeit, nicht nur kurzfristig. Verschwinden wird es nicht mehr – ein neuer Genosse.

Wir haben eine tolle Archiv-Inszenierung von „Die Zeit und das Zimmer“ auf der Schaubühnen-website gesehen, Botho Strauss inszeniert von Luc Bondy, das Stück passt genau in die Situation. Und es hat tatsächlich mit der Weibel’schen abgewrackten Nahgesellschaft zu tun, die nicht mehr greift….Man redet aneinander vorbei, macht sich und anderen etwas vor, mit wenig Erfolg, am Ende sitzt man wie am Anfang da und schaut aus dem Fenster. Alle nebeneinander und jeder für sich allein.

Gestern verkündete Sanchez die erwartete Verlängerung der Ausgangssperre um weitere 2 Wochen, Kinder ab 12 sollen nun begrenzt aus dem Haus dürfen, was ist mit den Erwachsenen und was ist mit „deporte“, worunter vermutlich Spazierengehen fällt? Heute , Montag, den 20.4., las ich, dass eine Gruppe von Juristen dem Obersten Verfassungsrichter eine Klage vorgelegt hat wegen des Verstosses gegen die Verfassung durch die aktuelle Massnahme. Das würde auch bedeuten, dass alle „multas“ nichtig sind und wirkungslos. Hoffentlich dauert es nicht zulange, denn jetzt reicht es allmählich. Im Fernsehen war eine Madriderin zu vernehmen, die sagte, wir müssen jetzt raus oder wir werden alle verrückt. Stimmt.

Leider sind die Nachrichten aus Madrid verwirrend. Jetzt heisst es, Kinder bis 14 dürfen kurze Gänge machen mit den Eltern, auch Spazierengehen, die Älteren von 14 – 18 hätten ja schon immer gedurft. Paff! So verspielt man das Vertrauen der Bevölkerung. 2/3 der Spanier glauben, dass das Ganze schlecht gemanagt wird, leider haben sie recht. Jetzt, nach 2 Monaten, sollen angeblich endlich Gesichtsmasken in die Apotheken kommen, die seit Wochen ein Schild im Fenster haben: keine Masken. Absurd.

Zu allem Überfluss hat sich nun eine Gruppe Deutscher mit Luxus-Ferienhäusern auf Mallorca (Andratx) bei Frau Armengol (Präsidentin der Balearen) per mail bzw. Brief auf Deutsch oder Spanisch gemeldet, und das Recht eingefordert, ihr Zweithaus zu besuchen. sie wären schliesslich keine Sauftouristen aus Arenal, sondern hätten Luxusvillen in Andratx. Gut verdienende Geschäftsleute, die in Spanien Steuern zahlen und damit der spanischen Volkswirtschaft nützen. Ins Schwarze, kann man da nur sagen. Natürlich nicht ohne Hinweis, dass in Deutschland alles besser gemanagt wird. Das haben wir gerade noch gebraucht. In der Mallorca-Zeitung melden sich nun die „anderen“ Deutschen zu Worte, die sich verwahren und „schämen“ – auch nicht besser. Einen Moment verpasst, die Klappe zu halten! Armengol hat kühl auf gleiche Rechte für alle hingewiesen, und hier gilt nun mal spanisches Recht – für alle! Aber man werde sich bemühen….

Die Mallorca Zeitung schreibt über die rund 600 fliegenden Händler aus dem Senegal, die nun hier im wahrsten Sinne des Wortes „gestrandet“ sind – keine Strandtouristen, kein Geschäft, kein Geld zum Leben und zum Nachhauseschicken. Wie vielfältig diese Geschichte doch ist!

Die angekündigten Gesichtsmasken sind auch heute, nach genau 8 Wochen noch immer nicht verfügbar, denn: man hatte für etliche Millionen Euro in China gekauft, alle defekt, leider habe die Firma keine Genehmigung, heisst es aus China. Wer ist denn auf diese Schnaps-Idee gekommen? Natürlich gegen Vorkasse, aber das Geld würde erstattet. Ach ja? Nachdem ich ordentlich gefeixt habe, lese ich nun, dass auch Bayern für 11 Mio Sanitätsmaterial in China gekauft hat – auch alles „Schrott“, wie Scheuer sagt. Erst schwindeln sie uns in diese Hysterie und dann verkaufen sie uns für teures Geld unbrauchbares Material – war das die Geschäftsidee dahinter? Man kommt ja fast auf Verschwörungstheorien. Aber warum alle immer noch glauben, China hätte die Epidemie gut „gehandelt“, bleibt rätselhaft. Man weiss doch inzwischen, dass es sich vor allem um falsche Nachrichten gehandelt hat! 

Morgen, Sonntag den 25. April, sollen nun endlich – nach langer Diskussion – die Kinder „raus“ dürfen. Wie und wielange und mit wem ist genau geregelt, mehrfach stand es in den Zeitungen. Aber die Spielplätze bleiben gesperrt. Ob daneben nun morgen ein Polizist steht und aufpasst? Manche Kinder haben Angst, die man ihnen erfolgreich eingeimpft hat, und wollen nicht raus, denn „da draussen ist das Virus“. Unverantwortlich!!!

Auf dem Titelblatt von „Ultima Hora“ war heute ein Mann zu sehen auf dem Boden sitzend, die Hände hinter dem Rücken gefesselt und in weitem Abstand umringt von 3 Polizisten, im Hintergrund medizinisches Personal in Schutzkleidung. Der Mann wollte unerlaubt die Klinik verlassen; er war auf Covid getestet worden, positiv, aber ohne Symptome. Er fühle sich gut und wolle nicht eingesperrt werden, aber man wollte ihn nicht fortlassen. Daraufhin verschwand er und die Klinik rief die Polizei, die ihn dann im Garten des Hospitals festsetzte. Wie einen Kriminellen. Ist das verhältnismässig??? Und das Foto? Auf der Titelseite. Persönlichkeitsrechte? 

In einem kleinen Ort wurde der Bürgermeister denunziert, der bei Nachbarn beim Wein sass, andere Nachbarn riefen bei der Polizei an. Nun soll er 3000 € Strafe zahlen. Denunziert wird nun öfter, hört man. 

KINDER DÜRFEN RAUS – RESTAURANTS ÖFFNEN WIEDER

Heute, Sonntag, waren nach langer Zeit wieder Eltern mit Kindern in den Strassen zu sehen – nach 6 Wochen. Die Kinder ungewohnt brav und dicht an den Eltern, alle hübsch angezogen. Die Tochter der Verkäuferin aus dem kleinen Laden um die Ecke in einem rosa Spitzenkleid mit rosa Schleifen und rosa Puppenwagen – und ganz ernstem Gesicht. Die Geräte auf dem Spielplatz hatte die Stadtverwaltung vorher nochmal neu abgeklebt, keiner darf schaukeln o.ä..Immerhin ist das eine grosse Erleichterung für die Familien und eine nette Belebung unserer toten Gassen. Ab 2.Mai dürfen auch wir spazierengehen, sogar zu Zweit. Ich war diese heimlichen Corona-Spaziergänge morgens ganz früh auch wirklich leid – und das schlechte Gewissen, das man dabei hat! Ab 11.5. dürfen dann die Restaurants die Terrassen nutzen, mit Abstand zwar, aber immerhin. Der erste café con leche auf der plaza wird ein Fest!

Interessanterweise ist die Phase 1, in der wir uns vom 2. – 10.5. befinden, mental komplizierter: man darf sich ein bisschen mehr bewegen, aber eben mit Einschränkungen. Nämlich Spazierengehen zu festen Uhrzeiten und in festgelegten Gruppen, die dann natürlich (alle über 70) zur selben Zeit unterwegs sind. Ob das klug ist? Der Tag steht weitgehend den Eltern (mit Kindern) zur Verfügung, und mancher hält sich an gar nichts in einem Gefühl wiedererlangter Freiheit.

Beim ersten längeren Gang durch die Felder schrecken wir Rebhühner auf, die gemächlich auf dem Weg entlanglaufen, an menschliche Abwesenheit inzwischen gewöhnt. Auf einer Mauer sitzt ein dickes Rebhuhn und ruft seinen Lockruf. In den nächsten Tagen hören wir diesen Ruf sogar von der Terrasse aus. Die Tiere kommen näher. 

Heute sah ich zum ersten Mal ein gedrucktes Band über einer Strasse quer hängen: „Wir bleiben zu Hause, aber jetzt reicht es.“ Die Stimmung kippt, das habe ich auch gestern gemerkt, wo Leute zum erstenmal in der Schlange ungeduldig waren und mich dann angepampt haben, weil ich nicht wie erwartet auf Mallorquin „reagiert“ habe. Ich könne ja nur Castellano…. Die Nerven sind gereizt. Ab 11., wenn dann auch einige Bars und Restaurants draussen öffnen dürfen, dürfte es mit der Disziplin weitgehend vorbei sein. Auf den Balearen gibt es seit 3 Tagen weder Todesfälle noch Neuinfizierte – natürlich denken alle, der Spuk ist vorbei. Aber DAS ist erst der Anfang von den fiesen Folgen, die wir im Sommer und Herbst bitter spüren werden. Alle ahnen und fürchten das.

Seit Montag, 18.Mai, ist die erste strikte Phase der Einschränkungen nach genau zwei Monaten vorbei. Und ich hatte gedacht, es ginge um wenige Wochen! Erste Nachlässigkeiten sind zu sehen: weniger Menschen mit Masken – es gab ohnehin immer welche, die nie eine trugen – mehr Nähe, mehr Bewegung auf der Plaza. Und: einige Restaurants haben geöffnet, zunächst nur draussen mit viel Abstand zwischen den Tischen, die Kellner mit Maske, die Tische werden nach jedem Gast desinfiziert, auch die Armlehnen, falls vorhanden.

Mai 2020: erste vorsichtige Öffnung der Restaurants auf der Plaza

Der Sitzbereich ist abgegrenzt durch Plastikbanderolen wie auf einer Baustelle. Deutliche Erleichterung, dass man wieder draussen sitzen kann, allerdings gibt es weniger Sitzplätze. In zwei Wochen dürfen die Restaurants auch drinnen bewirten (mit Abstand). Man darf die Stadt verlassen und auf der Insel umherfahren, spazierengehen, auch am Strand, Baden noch nicht (aber Schwimmen, das gilt als „Sport“, das ist erlaubt). Ab Montag, den 25., geht dann auch das alles ohne Einschränkungen mit der Warnung, Abstand zu halten.

Ich habe inzwischen angefangen, Pindar zu lesen, die Lektüre mit der Peter Handke seinen Tag beginnt. Ein kleines Reclam-Bändchen fand ich in Ulysses‘ Sammlung. Seine Oden beziehen sich auf griechische Mythen und entstanden jeweils zu einem konkreten Anlass, weswegen Pindar u.a. auch als „Hofpoet“ (Rühmkorf) bezeichnet wurde. Seine Absicht ist stets eine positive, nämlich das Rühmen und das Besingen des Schönen. „Anderen zeiget nie, welches Leid wir tragen; sondern das Schöne und Freudige, woran wir Teil haben, sollen wir allen Menschen vorzeigen.“ ist eine seiner Maximen. Jedes Unglück wird aufgewogen durch einen Augenblick des Erfolgs, des Glücks. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Oden-Dichter der griechischen Klassik soviel auch heute Gültiges zu sagen hat! Dadurch, dass gerade viel -Überflüssiges? – wegfällt, ergibt sich plötzlich Zeit und Muße für solche Lektüre! Da ich mich immer für griechische Mythen interessiert habe, treffe ich auf manch alten Bekannten in Pindars Gesängen.

Netterweise ist das Wetter struppig, sehr windig, dann regnet es mal wieder kräftig, passt ganz gut in diese Zeit, so hat man eh keine Lust auf Meer. Beim ersten Besuch an unserem gewohnten Strand stellen wir fest, dass er sich in einen unberührten, wilden verwandelt hat mit allerlei Strandgut, Pflanzen, sogar Baumstämme wurden angespült. Die ganze Bucht roch nach abgestorbenem Fisch, denn es lagen sehr feine Tintenfisch-Häute überall, die verwesten. Das gab es noch nie. In Portixol ebenso, die ganze Bucht voll mit diesem feinen, fast durchsichtigen Zeug und dem dazugehörigen Fischgeruch. 

In Portixol wird immer noch an der Hafenveränderung gearbeitet, die verbreiterte Promenade ist jetzt sehr schön und von hohen Palmen neu flankiert; einige Kneipen sind noch zu, Davide (La Vermuteria) hat immerhin die Terrasse auf und auch der Club Nautico, dort war es sogar voll. Ansonsten kaum Spaziergänger, nur die dort Wohnenden und sehr wenige Ausländer, vermutlich Residenten. Ohne Trubel – es war Sonntag! – wirkt das Ganze merkwürdig trostlos. Wir warten bis Monatsende, bevor wir wieder hinfahren. Die ersten deutschen Touristen haben wohl versucht, auf die Insel zu kommen, wurden aber mangels „triftigem“ Grund (und mangels Hotelbuchung) stantepede zurückgeschickt. Ob das eine gute PR war? Armengol will nun den ganzen Sommer Maskenpflicht. Aber wie soll das gehen bei Urlaubern? Ferien mit Maske? Und das bei über 30 Grad?

DAS ERSTE BAD IM MEER

Beim zweiten Strandgang Ende Mai war immerhin ein ausdauerndes Bad möglich, das Meer trotz Wind der vergangenen Tage recht ruhig und wundersamerweise keine abgestorbene Posidonia am Strand.

Mai 2020: leerer wilder Strand in Sa Rapita

Ob das doch mit dem Abwasser im Meer letztes Jahr zu tun hatte? Die Kläranlage von Palma ist immer noch defekt, frühestens nächstes Jahr könne man sie reparieren, entsprechend hat die Playa de Palma (einer der wichtigsten Touristenstrände) in diesem Jahr keine blaue Flagge, genau wie Ciutat Jardin, auch jetzt tritt dort wieder Fäkalwasser aus. Aber die Touristen um jeden Preis herlocken – man versteht es nicht.

Das erste, langersehnte Bad in unserer Bucht ist eine Art Erweckung, besonders schön, klar und türkisblau kommt das Wasser mir vor. Ich schwimme weit hinaus, lasse mich tragen und geniesse diese herrliche Schwerelosigkeit in der sanften Dünung! Ab jetzt jeden Morgen oder wenigstens jeden zweiten! So kommt man gut über den Sommer, der wieder heiss werden soll.

Mitte Juli findet die erste Grafik-Ausstellung von Ulysses in den neuen Schwabinger Räumen der Galerie statt, und wir hoffen, dass sich bis dahin eine etwas klarere Virus-Regelung in Bayern ergeben hat. Noch wird über diverse Einschränkungen nachgedacht, Söder ist für klare Kante, ganz im Gegensatz zu Laschet, der den Menschen die Eigenverantwortung mehr überlassen will. Söder prescht vor und hat einen enormen Zuwachs an Beliebtheit.

Anfang Juni fahren wir seit vielen Monaten zum ersten Mal wieder nach Palma. Sehr merkwürdig ist die Abwesenheit des üblichen Sommergewimmels und -gedrängels und der Anblick geschlossener oder – wenn offen – dürftig besetzer Lokale. Sogar das Museumsrestaurant des Es Baluard ist geschlossen, die Flaschen der Aussen-Bar stehen dort, als wäre man urplötzlich verschwunden. Immerhin konnte ich in einem Geschäft einkaufen ohne grosse Umstände, ja, Hände desinfizieren, ja, Maske tragen. Im Café gibt es keine Tageszeitung, die dürfe er nicht den Gästen geben – wegen Corona, aber wenn man sie erbittet, kann man sie sich selbst nehmen. Aha!

Vor dem Ausstellungsraum der Caixa niemand, drinnen drei Mädchen an der Kasse, die aber keine Karten verkaufen dürfen, man müsse diese vorher online kaufen…Na, dann nicht. War eh keiner drin. Um die Kathedrale herum fast niemand und auch die Pferdekutschen fehlen, ebenso die Dutzende Strassenhändler aus dem Senegal – keine Geschäfte zur Zeit zu machen!

Nun sind wir gespannt, wie wohl das „Pilotprojekt “ mit 11.000 Deutschen ab 15.6. ausgehen wird. Schon jetzt lese ich, es kämen nur knapp 20% davon. Offensichtlich haben die Deutschen grosse Vorbehalte gegen das Fliegen und machen lieber im eigenen Land Urlaub in diesem Jahr. Und die Nachrichten aus „Spanien“ differenzieren kaum zwischen dem Festland und den Balearen, die bisher ziemlich verschont wurden von hohen Infektionsraten. Unserer Meinung nach, kann man sehr wohl hierher reisen, natürlich mit der überall nötigen Vorsicht.

Merkwürdigerweise stellt sich eine Art Fatalismus ein; ich kann nicht feststellen, dass mir etwas fehlt. Es ist eine neue Realität, vielleicht wie in den 70er Jahren hier, allerdings mit der Ausstattung von heute.

BLOOMSDAY

Ich habe gestern, 14.6. zwei Tage vor dem „Stichtag“ (Bloomsday), den „Ulysses“ zu Ende gelesen, ziemlich genau ein Jahr lang. Was ein Buch! Mein altes Taschenbuch fällt nun buchstäblich auseinander, ich werde eine schöne Ausgabe kaufen – und dann lese ich es ab Herbst genüsslich noch einmal. Eigentlich müsste man mal nach Dublin fahren! Faszinierend ist der Reichtum an sprachlichen Registern und Ebenen, mal intellektuell ausgefeilt, mal umgangssprachlich, bis hin zu – vermutlich – Dubliner Dialekt. Je nachdem. Alles voller Sprachwitze, alliterierenden Sprachspielen, Pidgin-Englisch (Irisch?): (and de missus is de master), erotisch, anzüglich, ironisch…..Gegen Ende folgt ein eingeschobenes Theaterstück, das teils an Faust II erinnert mit Teufelssabbat und Höllenvisionen, zum Schluss ein Frage-Antwortteil, der alles nocheinmal ironisch resümiert. Es wird nie langweilig; ein Buch, bei dessen Lektüre man sich wahrlich anschnallen muss! Schon jetzt fehlt es mir, ich war vollkommen darin eingetaucht!

Heute hörte man, dass nun ab 21.6. keinerlei Reiseeinschränkungen mehr für die Balearen gelten. Das ist gut, denn Mitte Juli müssen wir nach München (Ausstellung), und natürlich ungehindert auch wieder hierher zurück ohne Quarantäne o.ä., immerhin. Und unsere Besucher waren ohnehin erst für Herbst eingeplant.

Auf unserer Plaza haben 3 weitere Restaurants/Bars eröffnet, geplant infolge des Touristenbooms von 2019, ob nun wohl dieses Jahr unter den eingeschränkten Bedingungen tatsächlich weitere 3 zu den schon 14 existieren können? Zur Zeit ist es überall recht dünn besetzt, belebter sind die traditionellen Bars, in denen das alteingesessene einheimische Publikum zu Hause ist; wer auf Touristen zielt, sieht – noch? – schlecht aus, von den wenigen Deutschen, die fest im Ort wohnen, lebt keines der entsprechende Restaurants. Das neue Café hat auch Leberkäse, bietet dazu süssen Senf an und Meerrettich, der Kuchen ist aber nicht hausgebacken, sondern von einer Grossbäckerei geliefert, mehr Bahnhofscafé, schade, aber immerhin! Irgendwann teste ich die Schwarzwälder Kirschtorte!

Wir haben Tag 100 hinter uns und inzwischen ist klar, dass von keinem „Ende“ gesprochen werden kann. Wir sind bestenfalls am Anfang der neuen Verhältnisse. Meine derzeitige Putzfrau, seit 14 Jahren am Flughafen im DutyFree beschäftigt (Parfum), bekommt nicht mal Arbeitslosenhilfe. Frühestens im Herbst brauche man sie wieder, bis dahin geht sie putzen, wie bei mir, um die Familie mit drei Kindern und einem Ehemann in Teilzeitarbeit einigermassen über die Runden zu bringen. Das ist nur ein Beispiel.

Das Pilot-Projekt, das in 2 Wochen bis zu 11.000 Deutsche auf die Balearen bringen sollte, hat bis jetzt (10 Tage) ganze 2000 Deutsche hierher reisen lassen. Das Fernsehen zeigte, wie in einem Hotel die ersten Touristen mit Applaus begrüsst wurden. Aber merkwürdig muss es sein, Urlaub auf einer quasi touristenfreien Insel zu machen. Bierkönig und Schinkenstrasse zeigen allerdings die gewohnten rammelvollen Terrassen und werden prompt sofort geschlossen. Die Bilder machen die Runde bis nach Deutschland, wo man sich „besorgt“ äussert. Party so wie früher soll es dieses Jahr auf „Malle“, wie dieses Publikum die Insel nennt, nicht geben. Umgehend werden die einschlägigen Kneipen geschlossen

Trotzdem spricht die Balearenregierung von einem „Erfolg“. Immerhin nimmt die Anzahl der Flüge hierher zu, alles hofft auf den Juli. Und werden nun Reisende aus NRW in Quarantäne geschickt? Die neuen Infektionsherde in Deutschland sind ein Schock, auch Deutschland ist also nicht so „sicher“, wie man hier glaubt. Wo findet sich der kerngesunde Tourist? Das Dilemma ist nicht zu lösen, und das Ergebnis wird eine hohe Zahl von Arbeitslosen und Schliessungen sein, wenn der August vorbei ist.

DER HEISSE SOMMER

Der Sommer beginnt mit afrikanischer Hitze, die diese Woche (Ende Juni) die 38 Grad erreichen soll. Ich denke über Nordfrankreich nach, aber auch das ist unsicher: Wer weiss, wie dort in 4 Wochen die Verhältnisse sind und dann bei der Rückkehr hier? Bleiben wir am Ort mit den üblichen Massnahmen: früh aufstehen und Schwimmen gehen, die heissen Stunden überstehen und spät abends vielleicht nochmal einen Spaziergang durch die Felder. Noch ist das Haus innen nicht so aufgeheizt, das kommt dann später. Dann hilft die Aussen-Dusche mit Zisternenwasser, das immer kalt ist aus der Tiefe des Brunnens! Wir sind nun quasi vom Corona-Lockdown in den Hitze-Lockdown übergegangen. Irgendwann ist Herbst.

Für meine Mallorca-Geschichten wende ich mich ein weiteres Mal Harry Graf Kessler zu, seinem letzten Tagebuch, in dem er auch über seine kurze Zeit (1933-36) auf Mallorca berichtet. Hier beendete er Band 1 seiner auf drei Bände ausgelegten Memoiren, bevor er nach Frankreich ging, wo er dann krank, einsam und verarmt 1937 starb. Ich werde mir, sobald es etwas weniger heiss ist, das Haus ansehen an der Plaza Bonanova No.1. In seinem letzten Tagebuch gibt es Fotos davon, so dass man es wohl gut wiederfinden kann, wenn es noch steht. Es gibt auch ein Foto von Harry Kessler vor diesem weissgetünchten Haus an einem schlichten Tisch sitzend mit Freund Max und 2 Hunden und ein weiteres mit ihm in einer Bar, flankiert von anderen Emigranten und einigen mallorquinischen Einheimischen. Diese Fotos sagen viel über die enormen Statusveränderungen in einem Leben, das an Hofgesellschaft und feinste Hotels gewöhnt war. Kessler ist die Personifizierung des Niedergangs, den der 1. Weltkrieg für Europa, seine Gesellschaft und Kultur bedeutete mit dem Tiefstpunkt des Nationalsozialismus. Den II. Weltkrieg musste er nicht mehr erleben, aber das Erstarken des Nationalsozialismus kostete ihn sein Vermögen, seine Kunst-Sammlung und letztlich die „Heimat“ Deutschland.

Auf Mallorca kehrt Ernüchterung ein, denn das vielbeworbene Pilot-Projekt für insbesondere deutsche Touristen war letztlich ein Flop: von den eingeplanten 12.000 kamen schliesslich nur 2.000 und diese waren zum Teil enttäuscht von den leeren Promenaden und den geschlossenen Geschäften…nicht das Malle-Mallorca, das man gewohnt war! In Arenal, so liest man, hört man seit langen Jahren wieder Spanisch am Strand, und die Mallorquiner geniessen im Grunde die Rückkehr zu früheren Zeiten – wenn da die Einnahme-Lücke nicht wäre. 150.000 der insgesamt 200.000 im Gaststätten-und Hotelgewerbe Beschäftigten haben Kurzarbeit. Ab August soll sich das ändern, aber vielleicht ist auch der Sommer abzuschreiben. Soviel Werbung für Hotels und Ferienvermietungen war jedenfalls nie! Dennoch sind die Preise recht hoch und eine Auslastung von 60% wird behauptet. Das wäre ja dann doch eine ganze Menge.

Auf Mallorca lebende Ausländer entwerfen Gedanken für einen nachhaltigen Tourismus und beschwören die Chance zum Paradigmenwechsel. Nichts dergleichen kommt von nur irgendjemandem aus der Regierung oder aus der Branche selbst. Da will man nur zurück ins „Vorher“. Hatte George Sand doch recht mit der vermerkten Antriebslosigkeit? Ich selbst habe ein weiteres Beispiel eingesammelt: mein Deutsch-Mallorquin-Tandem mit der Nachbarstochter ist nach dem 4. Treffen verblichen. Sie kam nicht, hatte es vergessen, hat aber auch nicht nach dem nächsten Termin gefragt. Zu mühsam? Die Initiative kam ja auch von mir, nicht von ihr, und meine Vorstellung, jemand (immerhin Lehrerin) würde die langen Wochen hier gern nutzen und von den Ausländer-Nachbarn zumindest sprachlich profitieren, war natürlich der Gedanke aus einem deutschen Hirn. Da man hier nicht „nein“ sagt, weicht man bei nächster Gelegenheit seitwärts aus. Nicht das erste Mal. So ist es. Fällt unter „Landeskunde“.

Wir sind sehr gespannt, wie unsere kurze Reise nach München und Bamberg abläuft und wie sich die Wiedereinreise hierher gestaltet. Denn wir sind keine Residenten, sondern nur Feriengäste im eigenen Haus. Mal sehen, welche Regeln der Beamte am Flughafen Palma drauf hat, der uns kontrollieren wird. Denn die Regeln sind unübersichtlich und ändern sich immer wieder.

Letztes Wochenende am Meer schienen Abstandsregeln vollkommen vergessen. Nicht nur am Strand, auch in den Bars sass man munter dicht an dicht und hielt auch als Fussgänger kein bisschen Abstand. Wir versuchen, uns weiterhin daran zu halten. Inzwischen wasche ich mir so oft die Hände wie ein operierender Chirurg, aber wenn es hilft………

DER ERSTE FLUG

So leer habe ich den Flughafen Palma noch nie gesehen! Viele leere check-in-Schalter, kaum Warteschlangen. Leider waren auch alle Laufbänder abgestellt – die Gummi-Handläufe müssten ja sonst regelmässig desinfiziert werden! – es lebe der Rollkoffer. Aber man läuft ganz schön, er ist gross, dieser Flughafen!.

An den Sicherheitskontrollen kein Stau, alles läuft langsamer und vorsichtiger ab. Danach gelangt man sofort in den weiten duty-free-Bereich und bleibt normalerweise an irgendeinem Stand hängen. Diesmal allerdings nicht, denn vieles ist mit Plastik abgedeckt, und in der ganzen Etage langweilt sich ein Verkäuferin für alles, denn keiner kauft. Die Atmosphäre ist nicht da, wenn man nicht an Parfums schnuppern kann, Cremes testen etc…..Leider war auch nur ein MacDonald geöffnet, sonst kein einziges Restaurant, immerhin funktionierten die Getränke-Automaten. Auch Presse mit Zeitungen und Büchern war geschlossen, alle sonstigen Geschäfte mit Kleidung und Andenken auch, ein düsteres, trauriges Bild.

Im Flugzeug alle mit Maske, die Ansagen der spanischen Begleiter auf Englisch via Mikrophon und Maske waren nun vollkommen unverständlich, aber es war nur das übliche…Magazine lagen keine aus, auch nicht die Menükarten (Hygiene?), aber durchaus die Sicherheitshinweise, die man uns  zur Lektüre nahelegte (hier keine Hygiene?). Die strengen Handgepäck-Regelungen führten zu flotterem Rein und Raus – braucht es da erst ein Virus? Auf dem Flughafen München ein ähnliches Bild: kaum Flugäste, alle Geschäfte und Restaurants geschlossen. Düster. Erst ausserhalb des Flughafen-Geländes das erste geöffnete Restaurant. Allerdings mit Notierung der persönlichen Daten (Adresse, Telefon) und Uhrzeit. Das dann auch später im Café und auch sonst überall. Wir haben in den wenigen Tagen eine deutliche Spur hinterlassen, wenn jemanden das interessiert. In Deutschland fällt mir mehr Lässigkeit auf, wenige tragen eine Maske, halten Abstand; man sieht viele Grüppchen zusammensitzen, die natürlich alle „notiert“ wurden. Wer um Himmels willen soll das je nachverfolgen, falls irgendeiner im Umfeld nun positiv testet???Die Bürokratie beruhigt, aber hilft sie auch in diesem Ausmaß? Es gibt immer noch mehr Fragen als Antworten, und so wird die Unsicherheit noch lange bleiben – sie ist das Schlimmste!

Bekannte, die wir treffen, würden gern nach Mallorca reisen, lesen aber die vielen negativen Nachrichten über „Spanien“ und verzichten daher lieber. Das ist Mallorcas Dilemma: es wird in der ausländischen Presse kaum gesondert erwähnt, dass die Balearen wie die Kanaren sehr viel niedrige Infektionsraten haben als das Festland.

Bei der Ausstellungseröffnung gab es keine „slots“ mehr und offensichtlich auch keine Mengenbegrenzung. Es war eigentlich wie früher, alle standen dicht umeinander mit oder Wein und parlierten. Ein vertrauter Gast verkündete, er habe Covid gehabt, damit nun Antikörper und daher könne er auch keinen anstecken. Ich solle doch die Maske abnehmen, ob ich Angst hätte. Ich liess sie drauf, denn das mit den Antikörpern ist ungeklärt. Es ist seine Gesundheit, auf meine achte ich auf meine Weise.

Die Einreise nach Mallorca verläuft ohne die mindeste Kontrolle. Es stehen zwar allerlei Uniformierte herum, nehmen erleichtert das ausgefüllte Formular mit Adresse (woher – wohin) entgegen, allerdings ohne Kontrolle – und Fieber misst auch niemand. Man hat das Gefühl, sie sind froh, wenn wir durchgewinkt und weg sind. Vermutlich schaut sich niemand je diese angeblich so wichtigen Formulare überhaupt an.

ERSTE FOLGEN DER PANDEMIE

Der Tourismus auf Mallorca ist wie erwartet abgestürzt: viele Hotels haben gar nicht geöffnet, wenn, dann mit einer reduzierten Auslastung, so dass manche sich dann doch entschliessen, schon im August wieder dichtzumachen. Für alle ein Desaster. Noch schlimmer ist es, wenn ein Tourist das Virus mitbringt (das war die Sorge!) und im Hotel weitere infiziert – das wars dann für das Hotel für dieses Jahr. Die Besorgnis bei den Menschen hier nimmt zu, auch wenn man im Moment noch den Faktor Sommer bei freiem Strand geniesst. Aber irgendwann ist auch das vorbei und dann stellt sich die Frage nach den Einkünften. Schon jetzt nimmt in Spanien die Anzahl der besetzten Wohnungen und Häuser (okupas) stark zu, auch Einbrüche soll es mehr geben. Und anscheinend blüht das Drogengeschäft, regelmässig werden grosse Lager mit Marihuana etc. ausgehoben, Kokain war schon immer in Spanien sehr verbreitet. Und eine Insel mit grossem Hafen ist offensichtlich ideal.

Mit dem letzten Hitzeschub Ende Juli (bis fast 40 Grad) kam auch die Verschärfung der Maskenpflicht, weiss Gott kein Vergnügen bei dieser Hitze. Man muss das Bedienungspersonal in Geschäften und Restaurants bewundern, das stoisch dermassen ausgestattet seinen Arbeitstag absolviert.

Inzwischen nehmen die Infektionszahlen auch dort wieder zu, wo sie anfangs so schnell gesunken sind: Südkorea, Japan, Taiwan etc…und in Deutschland häufen sich die Verschwörungstheorien-Corona-Gegner-Demos. Wie kann man gegen ein Virus demonstrieren wollen??? 

Die Salzburger Festspiele haben stattgefunden, ein wichtiges Beispiel, natürlich unter Corona-Regeln, aber irgendwie muss man auch „mit Virus“ weitermachen, gerade in den Künsten! Aber die Mehrheit der Theater und Musikbühnen bleiben still, ein Desaster für die Künstler, die nicht zum festen Ensemble gehören. Und auch für die sind die Auftritte vor leerer Bühne und nur für den stream sicher nicht erhebend. Die Met hat bis September 21 alles abgesagt, wovon sollen die Musiker ihre Mieten bezahlen, bzw. leben?? Diese Frage stellen sich viel auch hier auf der Insel, die im Tourismus arbeiten oder deren Betriebe nur noch Teilzeitarbeit bieten können. Da rutscht eine ganze Gesellschaft ab!

Auf Mallorca hat man die Schoten des Johannisbrotbaumes wieder entdeckt: bisher lediglich als Viehfutter verwendet, findet die Bio-Industrie neue Verwendung für sein feines Mehl, das leicht süß und schokoladig schmeckt. Ideal für Backwaren, Nachspeisen und als Zusatzstoff in Bio-Nahrungsmitteln. In Barcelona wird daraus sogar eine Art Schokolade hergestellt nach einem alten Rezept. Die Preise stiegen dieses Jahr für die Schoten und prompt werden Diebstähle gemeldet, wo ganze Bäume abgeerntet wurden. Es gibt viele verschiedene Sorten und eine Zucht-Finca, auf der zweigeschlechtliche Bäume gezogen werden mit besonders üppiger Ernte. Das ist doch eine interessante neue „Industrie“ für Mallorca!

Den September über haben wir die Ausstellung in Madrid vorbereitet in der renommierten Grafik-Galerie Brita Prinz. Letztes Jahr im Oktober waren wir dort im schönen Madrider Herbst, und nicht weit vom Prado, den wir jedesmal besuchen, liegt auch die Galerie. Wir waren uns sofort einig und suchten den Termin Anfang Oktober (2020) aus, weil dann Brita Prinz auch aus ihrem Sommeraufenthalt in Frankreich zurück sei. Nun hat sich leider im und nach dem Sommer die Situation in Madrid kontinuierlich verschlechtert, quasi wöchentlich wurden die Restriktionen enger und jetzt, Ende September, haben wir uns alle entschieden, die Ausstellung auf das nächste Jahr irgendwann zu verschieben. Das entlastet auch die Galerie davon, offen zu haben und Ana, die Mitarbeiterin, muss nicht das Risiko eingehen, Tag für Tag durch die abgeriegelte Stadt ins Büro zu fahren – und sich womöglich irgendwo anzustecken. Ohne die Galeristin kann ja auch keine Eröffnung etc. sein, nur Brita hat die Fachkontakte. Und es ist schön, eine Perspektive für das nächste Jahr zu haben! Oder für 2022.

Im El Pais vom Wochenende schrieb Antonio Muñoz Molina einen verzweifelten Artikel über die verfahrene Situation in Spanien: gegen das Virus werde man einen Impfstoff finden – aber gegen die unfähigen Politiker leider nicht: „Sie bringen uns alle um.“ war sein Aufschrei. Leider sieht es tatsächlich so aus, dass die wirtschaftliche Katastrophe noch kommt. Die Polen und Ungarn wollen den europäischen Hilfsfond blockieren, dh. dieses viele Geld ist keineswegs sicher – und Spanien nimmt nun 20 Milliarden – quasi im voraus – auf hinzu zu den gewaltigen Schulden, die es schon hat. Nur damit die nächste Abstimmung über den Haushalt nicht platzt – was Neuwahlen bedeutet würde. Das ist eine riskante Taktik, denn einige Länder (Niederlande, Dänemark) wollen dem Fonds nur zustimmen, wenn das Geld ausschliesslich in Strukturmassnahmen gegeben wird. Dazu gehören nicht alte Haushaltslöcher. Vielleicht hat Merkel deswegen letztlich zugestimmt, wohl ahnend, dass das Geld vielleicht gar nicht fliessen wird…..Pragmatischer politischer Zynismus, das ist noch, was Europa bleibt. 

Die Flüchtlinge in Griechenland sind nach erster Aufmerksamkeit nun wieder in den Hintergrund geraten. Wird man diese Lager nun wohl vor dem Winter teilweise zumindest auflösen? Europa hat sich anscheinend an diesen Stachel im Fleisch gewöhnt und eiert weiter herum. Stattdessen schafft Erdogan neue Fakten in Armenien und Europa kann nichts tun, denn da sind ja die 4 Millionen Flüchtlinge, die die Türkei als Faustpfand hält. Widerwärtig! Nie hätten wir in so eine Falle geraten dürfen.

NACHSOMMER

Seit 24. September sinken die Nachttemparaturen; plötzlich schwitzt man nicht mehr und schliesst sogar morgens in der Küche das Fenster. Aber tagsüber ist die Sonne kräftig und gegen Ende September erwarten wir wie jedes Jahr, den „kleinen Sommer zu San Miguel“ – zumindest für einige Tage. Es heisst aber, der Herbst und Winter werden milde und weniger kühl als üblich verlaufen – das wäre mir ganz recht. Auch wie üblich Ende September kam ein erster Herbststurm, der uns hier im Süden nur abgemildert trifft. Im Norden stand vieles unter Wasser, Bäume waren umgerissen und in der Albufeira tobte tagelang ein – vermutlich gelegter – Brand.

In Spanien gehen die Infektionszahlen hoch, besonders betroffen ist die 7-Millionenstadt Madrid. Einige Stadtviertel sind schon gesperrt, andere sollen folgen. Unter solchen Bedingungen kann man keine Ausstellung eröffnen und auf Besucher, bzw. Käufer hoffen. Wir sind froh, dass wir uns rechtzeitig den Tatsachen gebeugt haben. 

In einem El Pais Semanal las ich einen Bericht über ein spanisches Kloster in Paris (Claretiner), das ab 1944 zwei Jahre lang Taufbescheinigungen und christianisierte Namensänderungen für sephardische Juden ausgestellt hat, die so vor der Verfrachtung in deutsche Vernichtungslager gerettet werden konnten. Ein junger spanischer Historiker entdeckte dies zufällig und konnte noch handschriftliche Einträge finden. Das Klostergebäude liegt in der Rue de la Pompe, unweit eines berüchtigten SS-Folterkellers in Paris. Alle 8 Mönche haben geschwiegen, die Zeitzeugen leben nicht mehr. Durch den Besuch einer Frau, Tochter eines auf diese Weise geretteten Ehepaares, die sich beim Kloster bedankte, erfuhren die heute dort lebenden Mönche zum ersten Mal davon. Man vermutet, dass der damalige spanische Konsul in Paris ein wichtiger Verbindungsmann war und die Visa ausstellte. Am 1.11.1944 hatte Marschall Pétain die Vereinbarung mit den Nazis unterzeichnet, in Frankreich lebende Juden zu „überstellen“. 75.000 fielen dieser Abmachung zum Opfer, einige wenige konnten verborgen werden oder gerettet, wie von den spanischen Claretinern. Eine Finsternis im menschlichen Miteinander aus jüngster Vergangenheit.

Nach einer grässlichen TV-Debatte zwischen Biden und Trump, hat sich nun Trump samt Gattin infiziert gezeigt – und viele seiner Mitarbeiter angesteckt. In der Debatte hatte er noch Biden verhöhnt, weil der immer mit Maske auftrat. Der hat allerdings keine Infektion. Lernt jemand etwas daraus? Irgendwie passt dieser Irrsinn der US-Wahl in die aus dem Ruder geratene Virus-Diskussion, in der die abstrusesten Verschwörungstheorien um sich greifen. 

Anfang Oktober ist tatsächlich für Madrid der Alarmzustand ausgerufen worden, die Stadt ist quasi gesperrt. Sanchez und zehn seiner Minister fahren allerdings genau zu diesem Zeitpunkt in ein Spa in Portugal für „bilaterale Konsultationen“. Reichlich unsensibel. Und was passiert nach den 15 Tagen lockdown: die Zahlen sind etwas gesunken, man öffnet wieder, die Zahlen steigen…und immer so hin und her?

Bei Heinrich Heine las ich gerade seine Beschreibung der Cholera-Epidemie in Paris, damals hatte niemand eine Chance, die Menschen krepierten auf den Strassen in kürzester Zeit. Es war Karnevalszeit und so mancher verstarb in seinem Kostüm mit blauem Gesicht. Das tröstet nicht, zeigt aber doch, dass wir immerhin in manchen Fragen ein entscheidendes Stück weiter sind: ärztliche Betreuung, saubere Krankenhaus, sauberes Wasser, Kanalisation…heute alles selbstverständlich.

Auch in Deutschland steigen die Infektionszahlen wieder an, so dass nun Reise- und sogar Beherbergungsverbote verhängt werden, allerdings nicht in jedem Bundesland gleichermassen. Sind die Menschen schlicht „abgenutzt“ in ihrer Moral? Eine Pharmafirma in Mainz beginnt nun, einen Impfstoff zu entwickeln und ist zuversichtlich, diesen im nächsten Frühjahr schon durchgetestet zu haben. Aber, so heisst es, auch mit Impfstoff bleibt die Notwendigkeit zur Vorsicht (Maske etc.).

Trump hat wohl von seinen Ärzten eine besondere Antikörper-Behandlung erhalten und ist schon nach einer Woche als“der Sieger“ unterwegs. Botschaft: alles halb so schlimm. Die über 200.000 Toten in USA – alles loser? Ich versuche inzwischen, diesen irren Nachrichten aus dem amerikanischen Wahlkampf aus dem Weg zu gehen – und warte schlicht das Ergebnis ab. Die widersprüchlichen Prognosen machen einen ganz wirr.

Eine schöne Nachricht ist der Nobelpreis für Literatur an die amerikanische Dichterin Louise Glück, von der ich noch nie gehört hatte. Die „linke“ SZ empört sich und spricht von Kitsch, erste Leseeindrücke zeugen von einer sehr genauen Lyrikerin, intensiv und klar. Aber man muss es wohl im Original lesen, wie eigentlich immer bei Lyrik. Es gibt wohl nur zwei ins Deutsche übersetzte Bände, grollt die SZ.

Der neue Essay-Band von Botho Strauss wurde natürlich von der „taz“ sofort als rechts niedergemacht hat, vermutlich – so klingt es jedenfalls –  hat niemand diese Texte aus 40 Jahren nocheinmal gelesen. Dabei sind sie bis heute aktuell und hilfreich, wie der Essay über Spengler oder die Büchner-Preis-Rede. Wunderbar sein Nachruf auf Bruno Ganz und seine Texte über die Regisseure Lc Bondi und  Dieter Sturm. Wer wissen will, was den Ruf des Theaters in Deutschland ausgemacht hat, findet hier einige Spuren. Schon vor 30 Jahren nahm er die Veränderungen in der Gesellschaft wahr, vor allem in der Streitkultur, eingetauscht gegen Meinungsmonopole, die heute überall den Diskurs bestimmen. Es lohnt sich wirklich, diesem Seismographen unseres geistigen Lebens genau zuzuhören.

Parallel dazu lese ich „Keeping an eye open“ von Julian Barnes, der mit grossem Verständnis bildende Künstler wie Vallotton oder Bonnard porträtiert. Auch er wäre ein ehrenvoller Nobelpreisträger, aber leider fragt mich niemand.

Der Nachsommer lässt überall die Infektionszahlen ansteigen und in Deutschland übertrifft man sich mit „Regelungen“, an die sich offensichtlich nicht alle halten – und das ist das Dilemma. Die wenigen Undisziplinierten machen die Disziplin der vielen anderen zunichte. Man kann offenbar von den Menschen wochenlang erwarten, dass sie „zu Hause bleiben“. Urlaubs-Reisen müssen offensichtlich sein, egal um welchen Preis.

Langweilen sich die Menschen so sehr mit sich selbst und ihrer Familie? Haben wir es so verlernt, uns ein wenig einzuschränken für einige Zeit?  Ist Reisen ein „Muss“ – und warum eigentlich? Leider fragt das niemand, monatelange Appelle haben auch stumpfe Zähne. Ist doch klar.

Auf dem spanischen Festland steigen die Zahlen weiterhin. Hier auf Mallorca scheint man recht sicher zu sein, die Menschen sind diszipliniert, auch in Restaurants – wir sind halt eine kleine Gemeinschaft mit knapp einer Million auf der Insel, das lässt sich anscheinend ganz gut „regeln“. Inzwischen tragen fast alle immer eine Maske und überall kann man sich die Hände desinfizieren – mehr kann man nicht tun. Inzwischen heisst es auch, das Virus sei weniger aggressiv, dh. es gibt weniger Todesfälle, als im Frühjahr. Aber die sonstigen Wirkungen im Körper sind allemal unangenehm genug (Nierenschäden, Nervenschäden etc.).

In Frankreich hat sich ein schrecklicher Mord an einem Lehrer ereignet, der im Unterricht „Meinungsfreiheit“ thematisierte. Ein 18-jähriger Tschetschene hat ihm aufgelauert und ihn mit einem Messer getötet – und die Tat gefilmt ins Netz gestellt. 

Der Täter hatte Duldung in Frankreich, wo er seit mehreren Jahren lebte. Aus seinem Umfeld wurde mehrere Personen verhaftet, auch der Vater einer Schülerin, die den Lehrer angeschwärzt hatte – dabei hatte sie diese Unterrichtsstunde geschwänzt!. So schnell geht das? Ein Kurswechsel in Frankreichs Innenpolitik was den Islamismus angeht scheint dringend überfällig, sonst sitzt bald Marine LePen dort, wo sie schon lange hinwill. Erdogan beschuldigt Macron der Islamophobie – Beileid für die bisher Ermordeten kommt von seiner Seite nicht. Macron solle seinen Geisteszustand untersuchen. Frankreich zieht seinen Botschafter ab. Von der EU sollte dazu unbedingt ein klares statement kommen, aber Hemdblusen-Uschi sagt natürlich nichts. Da sind ja noch die in der Türkei geparkten Flüchtlinge, ein scheussliches Faustpfand. Und es fliesst immer noch Geld in Vorbereitung eines möglichen EU-Beitritts…Kein Wunder, dass sich Erdogan abgesichert fühlt. Unfassbar!

DIE SOGENANNTE ZWEITE WELLE

In Europa nimmt die Corona-Panik zu, denn in vielen Ländern steigen die Zahlen der Infizierten stark. Frankreich hatte am 25.10. über 50.000 Neuinfizierte, in Paris ist Ausgangssperre. Auch in Spanien wurde erneut der Alarmzustand verhängt, er soll eventuell bis Mai (!) 2021 gelten. Dahinter verbirgt sich vor allem eine Ausgangssperre zwischen 23 und 6 Uhr und Beschränkungen für Feiern und Treffen in Restaurants und Bars., aber auch im privaten Rahmen. Am Bar-Tresen darf niemand mehr sitzen. Tagsüber bleibt alles wie bisher: Abstand, Maskenpflicht. Auch wenn die Zahl der Todesfälle insgesamt abnimmt, bleibt eine Infektion mit dem Virus eine starke Gefährdung für die Gesundheit wegen der langfristigen Auswirkungen im Körper. In den USA hat Trumps Stabschef sich dahingehend geäussert, dass das Virus „unkontrollierbar“ sei, man konzentriere sich auf die Entwicklung von Impfstoffen und Betreuung der Kranken. Eine Bankrotterklärung! Tatsächlich ist bei über 80.000 neuen Erkrankten pro Tag wohl nicht mehr möglich, Ansteckungsketten nachzuverfolgen und zu stoppen. Eine schlimme Perspektive für Amerika!

Angesichts dessen, scheinen die Kriege zwischen Aserbeidschan und Armenien, unterstützt durch die Türkei, im Jemen, in Syrien, die Proteste in Nigeria, in Mali, in Weissrussland und die zunehmenden Attentate in Afghanistan weniger im Focus der Nachrichten. Und niemand spricht mehr über die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln oder an der Balkan-Grenze: Strandgut der Flüchtlingspolitik von 2015. Das Virus paralysiert alles.

Ich werde ab heute, den 26. Oktober, dem Beginn der 33.Woche unseres Lebens „mit dem Virus“, dieses Tagebuch, das inzwischen 100.000 Zeichen lang ist,  nur noch sporadisch weiterführen. Und nur noch gelegentlich neue Entwicklungen notieren.

Was überrascht, ist die Nachricht aus China, dass das Leben dort wieder normal verläuft. Aber wie kann das sein angesichts der hohen Zahl von Infizierten? Auch dort ist das Virus ja nicht „weg“. Wieder eine Propaganda-Nachricht?

Am 10.11. kam die dringend erwartete Nachricht, dass BioNtec (Mainz) und Pfizer (USA) tatsächlich erfolgreich die Testreihen für einen Impfstoff abschliessen konnten und die Genehmigung zur Produktion beantragt haben. Deutschland hat schon 50 Millionen Ampullen bestellt, man rechnet Anfang nächsten Jahres damit. Hoffnung!